Mitgliederbrief des PhV-Vorsitzenden zur AfD-Meldeplattform
27. November 2019
Hierzu nehme ich als PhV-Landesvorsitzender folgendermaßen Stellung:
Die AfD nutzt — wieder einmal — in geschickter Weise das Internet, um sich ins Gespräch zu bringen, Druck auf Lehrkräfte auszuüben und Menschen gegeneinander auszuspielen. Dagegen verwahrt sich der PhV BW: So nicht!
Die AfD hat ihre im vergangenen Jahr erstmalig gestartete Meldeplattform völlig neu aufgelegt und ihre Stoßrichtung scheinbar geändert. Es geht jetzt nicht mehr nur um das Verhalten bzw. um Äußerungen von Lehrkräften, sondern auch um Missstände wie Unterrichtsausfall, Mängel an der Schulausstattung, Gewalt an der Schule, Mobbing oder Drogenprobleme.
Die Meldeplattform zielt jedoch weiterhin ganz wesentlich auf eine Denunziation von Lehrkräften, die ihre Schüler angeblich “politisch beeinflussen” oder ihre “Neutralität verletzen”! Diesen Einschüchterungsversuchen gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern treten wir entschieden entgegen!
Der PhV BW hält es für richtig, dass im Falle von tatsächlich auftretenden Problemen zunächst einmal die schulischen Instanzen und Wege zur Klärung von Problemen ausgeschöpft werden: Lehrer, Klassensprecher, Schülersprecher, Vertrauenslehrer, Elternbeirat, Präventionsbeauftragte, Sozialarbeiter, Beratungslehrer, Schulleitung. Wenn das nichts nützt, können Lehrkräfte sich an die Personalvertretung (ÖPR, BPR, HPR), den PhV oder die GEW wenden,Schüler und Eltern an die Schulverwaltung (zunächst Regierungspräsidium, dann Kultusministerium).
Es erschließt sich nicht, inwieweit die AfD als Partei bei Punkten wie “Mobbing”, “Drogenproblemen” oder “Gewalt” vor Ort unterstützend eingreifen kann. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Webseite in erster Linie der Datensammlung für parteipolitische Zwecke der AfD dient, ohne dass sich vor Ort tatsächlich vorhandene Problemsituationen dadurch beheben ließen.
Neben den inhaltlichen Aspekten ist die Online-Meldeplattform auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten äußerst bedenklich. So wird in der Datenschutzerklärung der entsprechenden Homepage erklärt, dass keine personenbezogenen Daten Minderjähriger erhoben werden sollen. Dennoch wird nach Namen, Email, Schule und Klasse (sowie auch namentlich nach betroffenem Lehrer bzw. Schulleiter) gefragt. Außerdem muss angegeben werden, ob man unter oder über 14 Jahre alt ist. Somit liegt hier nach Einschätzung des PhV ein überaus fragwürdiger Umgang mit personenbezogenen Daten — gerade auch von Minderjährigen — vor. Wir werden deshalb in dieser Sache den Landesbeauftragten für den Datenschutz einschalten.
Eines ist völlig klar: Der Philologenverband stellt sich schützend vor die Lehrkräfte im Land. Unsere Kolleginnen und Kollegen stehen fest zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Beutelsbacher Konsens von 1976, der alle Lehrkräfte dazu verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit die Werte des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten. Seine Grundbestandteile sind ein Überwältigungsverbot, das Gebot, politisch Kontroverses auch kontrovers darzustellen sowie Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, ein eigenständiges Urteil über politische Themen zu gewinnen. Vgl.: https://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens.html.
Wir werden uns daher jetzt und in Zukunft mit aller Kraft zur Wehr setzen gegen Versuche, die Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg zu gängeln, zu überwachen, zu bespitzeln und zu denunzieren. Unsere Forderung an die AfD lautet deshalb: Schalten Sie Ihre Meldeplattform unverzüglich ab!
Wenn Sie, liebes PhV-Mitglied, noch etwas Zeit haben, lesen Sie bitte auch die kritische Analyse der Meldeplattform-Texte im anschließenden P.S.!
Besten Gruß und eine schönes Wochenende
Ihr Ralf Scholl
Landesvorsitzender PhV BW
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P.S.: Analyse der Meldeplattform-Texte
Begrüßt wird der Besucher dieser Seite mit “Unterrichtsausfall, defekte Toiletten, politisch inkorrekte Lehrer, Gewalt auf dem Schulhof? Als Schüler hast Du Anspruch auf Unterricht, eine neutrale politische Willensbildung und intakte Bildungseinrichtungen. Schulleitung und Lehrer haben die Verantwortung, für die Probleme der ihnen anvertrauten Schüler ein offenes Ohr zu haben. An Deiner Schule gibt es Probleme und niemand hört Dir zu? Dann melde es jetzt!”
Abgesehen davon, dass die Lehrer in der Überschrift schon durch die Nennung zwischen “defekten Toiletten” und “Gewalt auf dem Schulhof” herabgewürdigt werden, ist es interessant, dass in der anschließenden Erläuterung die “neutrale politische Willensbildung” an die zweite Stelle (nach dem “Anspruch auf Unterricht”) vorgerückt ist. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
Auch der nachfolgende Satz: “Schulleitung und Lehrer haben die Verantwortung, für die Probleme der ihnen anvertrauten Schüler ein offenes Ohr zu haben.” macht klar, dass auf der AfD-Meldeplattform Personen im Fokus und unter Generalverdacht stehen. — Und an Unterrichtsausfall und Mängeln in der Schulausstattung können weder Lehrer noch Schulleitung kurzfristig etwas ändern.
Acht mögliche Kategorien von Vorfällen sind dann im Meldeformular auswählbar:
- zu viele Unterrichtsausfälle
- Drogenproblem(e) an der Schule
- Mängel an der Schulausstattung
- Gewalt an der Schule
- Mobbing
- Politische Beeinflussung
- Verletzung der Neutralität
- Sonstiges
Für jedes dieser Probleme, sind ganz unterschiedliche Ansprechpartner zuständig:
Für Unterrichtsuausfälle aufgrund schlechter Lehrerversorgung liegt die strukturelle Verantwortung beim Kultusministerium bzw. beim Landtag (über die Anzahl vorhandener Lehrerstellen im Staatshaushaltsplan) bzw. liegt die Ursache z.T. in der aktuellen Nicht-Verfügbarkeit vor allem von Grundschullehrern.
Für Mängel an der Schulausstattung liegt die Verantwortung beim jeweiligen Schulträger (also i.d.R. der Stadt oder Gemeinde, zu der die Schule gehört).
Lediglich Politische Beeinflussung wäre ein eindeutiger Verstoß gegen den Beuteslbacher Konsens, der sich auf Lehrkräfte zurückführen ließe.
Verletzung der Neutralität suggeriert, dass sich Lehrer politisch neutral zu verhalten hätten. Dies ist nicht der Fall! — Lehrer müssen sogar offensiv für das Toleranzprinzip des Grundgesetzes eintreten, auf das sie vereidigt wurden!
GG Art. 3 (3) Satz 1 besagt: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Mit diesem Grundgesetz-Artikel kann man den Ausgrenzern in der AfD nicht oft genug offensiv entgegentreten!
Bei den Punkten: Drogenprobleme, Gewalt und Mobbing an der Schule darf man sich fragen, auf welche Weise die AfD hier eigentlich tätig werden will.