PhV BW zum Sondierungsergebnis zwischen Bündnis 90/Die Grünen und CDU

7. April 2021

* Das in den grün-schwarzen Sondierun­gen angekündigte „Weit­er wie bish­er“ im Bil­dungs­bere­ich führt zu weit­erem Absinken der Bil­dungsqual­ität im Land
* Philolo­gen­ver­band fordert: Bil­dung muss in der neuen Leg­is­laturpe­ri­ode zum zen­tralen The­ma im Land wer­den
* PhV-Vor­sitzen­der Ralf Scholl: „Gute Bil­dung funk­tion­iert nur mit Fördern und Fordern zugle­ich – das ist in Baden-Würt­tem­berg völ­lig aus dem Fokus ger­at­en!“

Die Ergeb­nisse der Sondierungs­ge­spräche zwis­chen Grü­nen und CDU stoßen beim Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg (PhV BW) auf herbe Kri­tik. „Das von bei­den Parteien veröf­fentlichte Papi­er lässt für die Bil­dung nichts Gutes aus den Koali­tionsver­hand­lun­gen erwarten“, kom­men­tiert der PhV-Lan­desvor­sitzende Ralf Scholl. „Eine qual­ität­sori­en­tierte Bil­dungspoli­tik, die nüchtern die Nach-Coro­na-Lage analysiert und aktuelle wis­senschaftliche Erken­nt­nisse aufn­immt, um Baden-Würt­tem­berg wieder an die Spitze zu führen, ver­langt ein anderes Herange­hen!“

Der Bil­dung muss nach Ansicht des Philolo­gen­ver­bands in der neuen Leg­is­laturpe­ri­ode höch­ste Pri­or­ität im Land eingeräumt wer­den. „Kurzfristig muss dabei eine solide Aufar­beitung der Coro­na-Lück­en im Vorder­grund ste­hen, mit­tel­fristig sollte Baden-Würt­tem­berg im Bun­desver­gle­ich wieder einen Spitzen­platz bei den Bil­dungsleis­tun­gen anpeilen, und das langfristige Ziel muss darin beste­hen, mit den im Bil­dungs­bere­ich führen­den asi­atis­chen Staat­en wie Süd­ko­rea und Chi­na konkur­ren­zfähig zu wer­den“, erk­lärt Ralf Scholl.

Auf beson­deres Unver­ständ­nis beim Ver­band der Gym­nasiallehrkräfte stößt die Entschei­dung, die Coro­na-Lück­en mit möglichst bil­li­gen Pflästerchen zuzudeck­en, statt sie solide aufzuar­beit­en. „‚Beson­dere Zusatzange­bote in einem ambi­tion­ierten Lern­lück­en­pro­gramm‘ – das ist eine tolle Beze­ich­nung für die aus dem let­zten Jahr bekan­nten Lern­brück­en von 30 Stun­den in einem einzi­gen Fach. Wie sollen so die Lück­en aus min­destens 380 Stun­den Fer­nun­ter­richt in den Klassen 7–10 aus­geglichen wer­den?“, fragt Ralf Scholl und kom­men­tiert: „Die Beze­ich­nung ‚Lern­lück­en­pro­gramm‘ gibt hof­fentlich nicht das Ziel vor! Die Lern­lück­en auf­grund ein­er Bil­liglö­sung wer­den jeden­falls alle derzeit­i­gen Schü­lerin­nen und Schüler ihr Leben lang als Hypothek mit sich schlep­pen – genau die Gen­er­a­tion, die dann die mas­siv­en Coro­na-Schulden des Lan­des über ihre Steuern abbezahlen soll.“

Der PhV hat vorgeschla­gen, zur soli­den Aufar­beitung der Coro­na-Lück­en für alle gym­nasialen Schüler der Jahrgänge 5 bis 10 mit Lern­lück­en ab Sep­tem­ber auf G9 umzustellen. Dass dies nicht ein­mal erwogen wird, zeige die Eng­stirnigkeit in der Bil­dungspoli­tik: ´Haupt­sache, es kostet möglich nichts´. Das aber sei kein gutes Mot­to, wenn der wichtig­ste Rohstoff in Baden-Würt­tem­berg – die klu­gen Köpfe unser­er Kinder – ziel­gerichtet gefördert wer­den soll. „Um einen Rohstoff erfol­gre­ich zu fördern oder vere­deln, muss man erst ein­mal entsprechend investieren“, so Ralf Scholl. Die ver­stärk­ten Nach­fra­gen nach G9-Möglichkeit­en bei der Anmel­dung der neuen Fün­ftk­lässler wiesen eben­so auf den mas­siv­en Bedarf hin wie der Zulauf zur noch weit­ge­hend unbekan­nten G9-Aufhol­jahr-Peti­tion unter https://www.openpetition.de/!aufholjahr. „Ein sofor­tiger Über­gang zu G9 für alle gym­nasialen Schü­lerin­nen und Schüler mit größeren Lern­lück­en würde prob­lem­los die drin­gend benötigte zusät­zliche Lernzeit bere­it­stellen“, erk­lärt der PhV-Lan­desvor­sitzende.
Die beab­sichtigte Beibehal­tung des achtjähri­gen Gym­na­si­ums als Regelform trotz Pan­demiefol­gen und gegen den erk­lärten Willen bre­it­er Teile der Eltern‑, Schüler- und Lehrerschaft zeuge dage­gen von kein­er real­is­tis­chen Sicht auf die derzeit­ige schulis­che Sit­u­a­tion

Prob­lema­tisch betra­chtet wird vom Philolo­gen­ver­band auch die Tat­sache, dass es kün­ftig Grund­schulen ohne Noten geben soll. „Wie soll eine objek­tive Bew­er­tung der Schüler­leis­tun­gen ohne Noten ausse­hen?“, fragt Ralf Scholl. „Auf welch­er Basis soll die Entschei­dung für eine weit­er­führende Schule getrof­fen wer­den, wenn es an ein­er Grund­schule über­haupt keine Noten gibt?“ Nach Ansicht des Philolo­gen­ver­bands ist eine päd­a­gogisch fundierte, verbindliche Grund­schulempfehlung auf der Basis von Zif­fern­noten das beste Instru­ment gegen eine falsche Schul­wahl, die vor allem die betrof­fe­nen Kinder belastet. Und neuere Forschungsergeb­nisse bestäti­gen den größeren Schuler­folg aller Kinder bei verbindlichen Empfehlun­gen.

Ablehnend ste­ht der PhV BW auch dem geplanten weit­eren Aus­bau der Ober­stufen an Gemein­schaftss­chulen gegenüber. „Mit diesen Ober­stufen wird eine teure Par­al­lel­struk­tur geschaf­fen, die auf­grund der bere­its vorhan­de­nen vielfälti­gen Wege zum Abitur unnötig ist“, moniert Ralf Scholl. Er kri­tisiert zudem mas­siv die bish­erige Genehmi­gung­sprax­is für gym­nasiale Ober­stufen an Gemein­schaftss­chulen. „Die GMS-Ober­stufen wur­den ein­gerichtet, obwohl es keine aus­re­ichen­den Schülerzahlen dafür gab. Ermöglicht wurde dies durch eine zu hohe Prog­nose der Anmeldezahlen. Tat­säch­lich wur­den nir­gend­wo mehr als 3/4 der vorherge­sagten Anmel­dun­gen erre­icht: Außer in Kon­stanz liegen die Gemein­schaftss­chul-Ober­stufen durchgängig unter 60 Anmel­dun­gen pro Jahr. Diese Prax­is ist Geld­ver­schwen­dung und muss umge­hend been­det wer­den!“

Im Bere­ich der Dig­i­tal­isierung der Schulen müsse die Lan­desregierung der Ankündi­gung ein­er „echt­en Dig­i­tal­isierung­sof­fen­sive“ jet­zt schnell Tat­en fol­gen lassen.
In diesem Zusam­men­hang wieder­holt der Philolo­gen­ver­band seinen Appell für eine Nutzung von Open-Source-Lösun­gen für den dig­i­tal­en Unter­richt der all­ge­mein­bilden­den Schulen: „Der Dat­en- und Per­sön­lichkeitss­chutz von Schülern und Lehrkräften sowie die dig­i­tale Sou­veränität dür­fen nicht durch den Ankauf daten­schutzrechtlich beden­klich­er, kom­merzieller Pro­duk­te wie Microsoft 365 in die Tonne getreten wer­den“, betont der PhV-Lan­desvor­sitzende.

Ver­misst wird vom Philolo­gen­ver­band im Sondierungspa­pi­er eine Senkung des Klassen­teil­ers, um eine bessere indi­vidu­elle Förderung der Schüler zu ermöglichen. „Neuere wis­senschaftliche Stu­di­en zeigen eben­so ein­drucksvoll den pos­i­tiv­en Ein­fluss kleiner­er Klassen auf den Lern­er­folg der Schüler wie die Erfahrun­gen aus dem Wech­selun­ter­richt zu Coro­na-Zeit­en“, erläutert Ralf Scholl. „Da die Klas­sen­größe offen­sichtlich ein entschei­den­der Fak­tor für bessere Bil­dung ist, sollte hier unbe­d­ingt durch eine Reduzierung des Klassen­teil­ers nachges­teuert wer­den“, argu­men­tiert der PhV-Lan­desvor­sitzende.

„Das Sondierungspa­pi­er von Grü­nen und CDU lässt lei­der keine Verbesserung der Bil­dungsqual­ität in Baden-Würt­tem­berg erwarten. Stattdessen ist in manchen Punk­ten sog­ar ein Rückschritt gegenüber dem Sta­tus quo zu befürcht­en“, so das ent­täuschte Faz­it von Ralf Scholl.

Er fordert die Bil­dungspoli­tik­er der bei­den Parteien auf, im Hin­blick auf die Koali­tionsver­hand­lun­gen in den Dia­log mit Schul­prak­tik­ern – d.h. den Vertretern der Schulleitun­gen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler – zu treten und deren Ein­schätzun­gen ernst zu nehmen.

Zudem müssten aktuelle wis­senschaftliche Erken­nt­nisse und Stu­di­en – und nicht prax­is­ferne Wun­schvorstel­lun­gen – die Basis für die bil­dungspoli­tis­chen Entschei­dun­gen darstellen.

„Wir hof­fen und erwarten, dass im endgülti­gen Koali­tionsver­trag für den Bil­dungs­bere­ich noch deut­liche Nachbesserun­gen gegenüber dem Sondierungspa­pi­er vorgenom­men wer­den“, so der PhV-Lan­desvor­sitzende abschließend.  

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An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den knapp 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt mit über 9.000 im Ver­band organ­isierten Mit­gliedern die Inter­essen der Lehrerin­nen und Lehrer an den 462 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der ca. 26.500 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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