PhV fordert ein tragfähiges pädagogisches Konzept für die Gemeinschaftsschulen im Land

12. Februar 2020

Stuttgart, 12. Feb­ru­ar 2020
Az. 1911 / 2020-05

Rück­mel­dun­gen von GMS-Lehrern, die der PhV BW in den ver­gan­genen Monat­en erhal­ten hat, leg­en fol­gende Schlussfol­gerun­gen nahe:

1. Die Ver­bal­beurteilun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler wer­den von vie­len Kindern und Eltern nicht ver­standen, da sie in der Regel sehr wohlwol­lend und ermuti­gend for­muliert wer­den. Noten gibt es an den meis­ten GMS erst ab Klasse 9. Kinder, die auf Basis­niveau ler­nen, und ihre Eltern erliegen so teil­weise bis zur 8. Klasse der Illu­sion, sie wür­den auf die Ober­stufe und das Abitur vor­bere­it­et.
2. Kinder mit ein­er Grund­schulempfehlung für das Gym­na­si­um brin­gen schwächere Schüler oft nicht auf ein höheres Niveau (wie von der GMS-Konzep­tion vorge­se­hen), son­dern passen sich inner­halb weniger Jahre an das vorherrschende Basis­niveau an. Sie ler­nen an der GMS, dass sich Anstren­gung nicht lohnt: Jedes Kind rückt — egal wie schwach seine Leis­tung ist — immer in die näch­ste Klasse weit­er.
3. Prak­tisch durchgängig wer­den von den Lehrkräften mas­sive Diszi­plin­prob­leme in den Lern­grup­pen und während der selb­stor­gan­isierten Arbeit­szeit beklagt, die ein effek­tives Ler­nen teil­weise unmöglich machen.
4. Einige Lehrer schildern bezüglich der Anmelde­noten zur Abschlussprü­fung bzw. für die VERA-Tests die klare Auf­forderung ihrer Schulleitung, die Noten zu schö­nen. Die Ergeb­nisse der Mit­tlere-Reife-Prü­fun­gen der GMS bestäti­gen diesen schw­eren Vor­wurf: So liegt die durch­schnit­tliche Anmelde­note in Math­e­matik lan­desweit bei 3,2, während die in der schriftlichen Prü­fung erzielte Note im Durch­schnitt nur 3,9 beträgt. Rund ein Vier­tel der GMS-Schüler erre­icht in der schriftlichen Math­e­matik-Abschluss-Prü­fung nicht die Note „aus­re­ichend“.

Der PhV-Vor­sitzende Ralf Scholl fordert vom Kul­tus­min­is­teri­um daher: „Es muss endlich ein tragfähiges päd­a­gogis­ches Konzept für die GMS her!“

In Baden-Würt­tem­berg wurde 2012 mit den ersten 41 GMS ein päd­a­gogis­ches Konzept einge­führt, das weltweit nir­gend­wo son­st Anwen­dung find­et: Ein Konzept, in dem Lehrer zu „Lern­be­gleit­ern“ degradiert wer­den und Schüler sich nach kurzen inhaltlichen Inputs den gesamten Stoff selb­st erar­beit­en sollen. Dieses Konzept ist ins­beson­dere für schwächere Schüler – die an der GMS die Mehrheit stellen – völ­lig ungeeignet. Die schwäch­sten Schüler benöti­gen ger­ade die eng­ste und inten­sivste Führung und Betreu­ung. Dies wurde auch in der Wiss­Gem-Studie, der Begleit­studie zur Eval­u­a­tion der Gemein­schaftss­chulen, genau­so fest­gestellt – vgl. im Abschluss­bericht S. 72 die Aus­sagen über die inten­sivsten Lernzeit­en! Im Übri­gen sparte die Studie dieses neuen Konzepts in ihren Unter­suchun­gen die Leis­tungsen­twick­lung der Schü­lerin­nen und Schüler prak­tisch voll­ständig aus.

Selb­st der Schöpfer dieses Schulkonzepts, der Schweiz­er Pri­vatschul-Unternehmer Peter Frat­ton, bezweifelte vor der Ein­führung der Gemein­schaftss­chulen in Baden-Würt­tem­berg 2012 bei der Anhörung in der Stuttgarter Lieder­halle, dass dieses päd­a­gogis­che Konzept als Grund­lage ein­er öffentlichen Schul­form geeignet ist.

Der PhV-Vor­sitzende Ralf Scholl fordert deshalb: „Es ist längst über­fäl­lig, dass die Lern­er­folge der GMS-Schüler wis­senschaftlich unter­sucht wer­den: Die Anzahl der GMS-Schüler, die nach den Klassen 7 und 8 an Werkre­alschulen wech­selt bzw. zu wech­seln ver­sucht, legt ein beredtes Zeug­nis davon ab, wie wenig diesen Kindern an den GMS ver­mit­telt wird.“ Nur sind die meis­ten Werkre­alschulen mit­tler­weile geschlossen, da sie für ihre 5. Klassen zwei Jahre hin­tere­inan­der weniger als 16 Anmel­dun­gen hat­ten — und das, obwohl sie wegen der großen Rück­läufer­zahl von GMS-Schülern jet­zt z.T. zwei achte Klassen führen wür­den.

Ralf Scholl erk­lärt dazu: „Hier wird aus ide­ol­o­gis­chen Grün­den („Eine Schule für alle“) ein ungedeck­ter Scheck auf Kosten ein­er ganzen Schü­ler­gen­er­a­tion aus­gestellt. Die GMS sind bis­lang jeden Erfol­gs­be­weis schuldig geblieben, dass sie — trotz wesentlich höher­er Kosten — auch nur einen Deut bess­er sind als die klas­sis­chen Schul­for­men. Frau Kul­tus­min­is­terin, geben Sie den Gym­nasien und Realschulen die finanziellen Ressourcen der GMS (einen Sachkosten­zuschuss von über 1.300 € pro Schüler und Jahr an den GMS im Ver­gle­ich zu rund 800 € für Schüler an Gym­nasien und Realschulen) und geben Sie uns auch die deut­lich kleineren Klassen! Dann zeigen wir Ihnen, wie viel mehr man mit diesem Geld an klas­sis­chen Gym­nasien und Realschulen erre­icht.“

Des Weit­eren geht der PhV-Vor­sitzende auf die Ober­stufen an der GMS ein: „Das Abitur an GMS-Ober­stufen ist exakt das gle­iche wie an jedem all­ge­mein­bilden­den Gym­na­si­um, auch das Kurssys­tem unter­schei­det sich nicht, wed­er in Inhalt noch Anspruch. Die Ober­stufen an GMS brin­gen daher nichts Neues. Sie wer­den auf­grund geschön­ter Dat­en ein­gerichtet: In Kon­stanz begann die GMS mit 57 Ober­stufen-Schülern von 87 prog­nos­tizierten, in Tübin­gen mit 37 von 60. Solche kleinen Ober­stufen sind so über­flüs­sig wie ein Kropf, da sie für die Schüler ohne Koop­er­a­tion mit den benach­barten Gym­nasien kein­er­lei Wahl­frei­heit bei Leis­tungs- und Basiskursen bieten kön­nen. Diese Ober­stufen haben nur einen einzi­gen Zweck: die GMS bei der Schul­wahl der Viertk­lässler aufzuw­erten. Die GMS sind finanziell ein Fass ohne Boden und brin­gen keine besseren Lern­leis­tun­gen der GMS-Schüler. Auss­chließlich die Anhänger von „Eine Schule für alle Kinder“ sehen in ihr einen Fortschritt. Wie lange soll in Baden-Würt­tem­berg eigentlich noch das beste­hende und ehe­mals sehr gute Schul­sys­tem kaputtges­part wer­den, um auf der anderen Seite end­los Geld in GMS zu pumpen? Wann wird in BW endlich intel­li­gent in echte Schulqual­ität investiert?“

Als let­zten Punkt spricht der PhV-Vor­sitzende die große Unzufrieden­heit gym­nasialer Lehrkräfte an Gemein­schaftss­chulen an. Eine Unzufrieden­heit, die so groß ist, dass es ver­beamtete gym­nasiale Lehrkräfte gibt, die mit­tler­weile lieber ihr Beamten­ver­hält­nis gekündigt haben als weit­er an ein­er GMS zu unter­richt­en.

Fol­gende Punk­te wer­den von gym­nasialen Lehrkräften an GMS immer wieder ange­sprochen:

1. An mein­er GMS gibt es max­i­mal ein bis zwei gym­nasiale Schüler pro Lern­gruppe, aber rund drei Vier­tel mit Hauptschulempfehlung, für deren Unter­richt mir Aus­bil­dung und Handw­erk­szeug fehlen.
2. Min­destens fünf bis sechs Schüler pro Lern­gruppe sind ver­hal­tensauf­fäl­lig. Auf­grund der dauern­den Störun­gen ist es nur wenige Minuten pro Stunde über­haupt möglich, eine Ler­nat­mo­sphäre herzustellen.
3. Die „indi­vidu­ellen Lernzeit­en“ mit Selb­stkon­trolle durch die Schüler sind ins­beson­dere für die schwächeren Schüler eine völ­lige Über­forderung. Sie holen sich die zur Kon­trolle gedacht­en Lösun­gen und schreiben sie ein­fach ab. Danach bestäti­gen sie sich: „Lernziel erre­icht!“
4. Die Belas­tung aller Lehrkräfte an den GMS ist enorm. Die mas­sive Arbeit­sleis­tung der Kol­legin­nen und Kol­le­gen ver­pufft aber zum größten Teil, da das päd­a­gogis­che Konzept an den Bedürfnis­sen der Schüler vor­beige­ht.
5. Der in mas­sivem Umfang fach­fremd erteilte Unter­richt gefährdet eben­falls die Unter­richt­squal­ität.
6. Von Seit­en des Kol­legiums gibt es an einzel­nen GMS mas­sives Mob­bing gegen die auf­grund ihres Uni­ver­sitätsstudi­ums bess­er bezahlten gym­nasialen Kol­legin­nen und Kol­le­gen.
7. Weg­ver­set­zun­gen von gym­nasialen Lehrkräften von Gemein­schaftss­chulen an Gym­nasien wer­den auch nach fünf, sechs Jahren aufreiben­der Tätigkeit generell „aus dien­stlichen Grün­den“ abgelehnt. Ein­mal gym­nasiale Lehrkraft an ein­er GMS bedeutet anscheinend „lebenslänglich GMS“.
Ins­beson­dere bezüglich des let­zteren Punk­tes fordert der PhV-Vor­sitzende Abhil­fe.

* * *

An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den über 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt mit rund 9.000 im Ver­band organ­isierten Mit­gliedern die Inter­essen der Lehrerin­nen und Lehrer an den 462 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der ca. 30.000 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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