“Oberstufe an der Gemeinschaftsschule durch Zahlenakrobatik”
19. März 2018
Verbandsvorsitzende von BLV, RLV und PhV in Baden-Württemberg stellen klar:
Nach dem Regierungswechsel 2016 werden die Entscheidungen zur nur vereinzelten Einrichtung
einer gymnasialen Oberstufe für Gemeinschaftsschulen konsequent an klaren Kriterien festgemacht.
„Mindestens 60 Schülerinnen und Schüler zum Ende der Mittelstufe in absehbar langfristiger
Nachfrage braucht eine Gemeinschaftsschule weiterführend, um eine gymnasiale Oberstufe zu
generieren. Das ist eine transparente und nachvollziehbare Aussage und wir sehen die
Kultusministerin hierbei auf klarem Kurs“, so die Verbandsvorsitzenden. Es ist Zahlenakrobatik, wenn
in die Prognosezahlen, exemplarisch abzulesen an der GMS Salem, nicht nur die eigenen
Schülerinnen und Schüler, sondern im Rahmen der regionalen Schulentwicklung auch die der
Nachbarschulen, der Schulen der Umlandgemeinden und hier insbesondere die zukünftigen
Realschulabsolventen für deren geplante Oberstufe eingerechnet werden. Allein bis zu 15% der
Schülerinnen und Schüler der stark frequentierten Realschulen wollen sie addieren dürfen. Zusätzlich
die Schülerschaften umliegender Gemeinschaftsschulen, die aber alle bereits vor Ort Zugang zu
Gymnasien mit genügend Kapazitäten haben.
Herbert Huber (Landesvorsitzender des Berufsschullehrerverbands):
„Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages warnte der BLV mit Nachdruck davor,
dass vor dem Hintergrund der wachsweichen Formulierungen im Koalitionsvertrag bei 9 Stadtkreisen
und 93 Großen Kreisstädten, immer neue Begehrlichkeiten im Hinblick auf eine Oberstufe an
Gemeinschaftsschulen geweckt würden. Daher muss die Diskussion über die Oberstufen an
Gemeinschaftsschulen endlich aufhören. Der BLV unterstützt ausdrücklich die Haltung der
Kultusministerin, die einen Ausbau ablehnt und sich öffentlich zu den Beruflichen Gymnasien bekennt
und sich für einen Weg einsetzt, der i.d.R. über die Realschulen auf die Beruflichen Schulen führt.
Siebzig Prozent der Schüler der Eingangsklassen auf den Beruflichen Gymnasien sind ehemalige
Realschüler. Dabei sollte man wissen, dass die Beruflichen Gymnasien und Berufskollegs bereits jetzt
schon Absolventen von Werkreal‑, Real‑, Berufsfachschulen und Abgänger allgemeiner Gymnasien
gemeinsam zur Hochschulreife führen. Künftige Absolventen der Klasse 10 der Gemeinschaftsschulen
könnten problemlos in die Beruflichen Gymnasien integriert werden, so dass unnötige und teure
Doppelstrukturen vermieden werden.“
Karin Broszat (Landesvorsitzende des Realschullehrerverbands):
„Eltern der Realschülerinnen und Realschüler werden weiterführend weiterhin den
qualitätserprobten und leistungsstarken Weg über berufliche Gymnasien bzw. bestens bewährte
allgemeinbildende Gymnasien wählen. Denn gerade sie haben bewusst ihr Kind an einer Realschule
und eben nicht an einer Gemeinschaftsschule angemeldet. Wir verstehen, dass die hohen
Schülerzahlen der Realschulen die Fantasie der Oberstufenanhänger an der GMS anregt. Aber wir
wollen darauf hinweisen, dass man Schülerinnen und Schüler, die sicher den bewährten Weg wählen
werden, nicht doppelt rechnen kann, nur um dadurch zu einer günstigeren Zahlenprognose als
Voraussetzung zur Genehmigung einer Oberstufe zu gelangen. Das ist Trickserei!“
Bernd Saur (Landesvorsitzender des Philologenverbands):
„Die Einrichtung von Oberstufen an Gemeinschaftsschulen ist unnötig wie ein Kropf. Wir stellen die
Frage, wer denn die hiermit verbundene Verschleuderung von Steuergeldern durch Schaffung einer
unnötigen Parallelstruktur verantwortet. In einer solchen Oberstufe dürften nur gymnasiale
Lehrkräfte unterrichten. Wie aber gedenkt man diese zu rekrutieren, wenn man schon enorme
Schwierigkeiten hat, solche Lehrkräfte für die Klassen 5 bis 10 der Gemeinschaftsschulen zu
bekommen? Es ist im Übrigen so, dass viele der dort unterrichtenden gymnasialen Lehrkräfte lieber
heute als morgen an ein Gymnasium wechseln möchten, weil sie die Unterrichtsphilosophie der
Gemeinschaftsschule nicht länger verantworten können und wollen, man ihnen diesen Schritt aber
verwehrt, weil sonst das E‑Niveau an der Gemeinschaftsschule gar nicht mehr realisiert werden
könnte.
Es ist unverkennbar, dass der Abstieg dieser Schulart längst begonnen hat: völlige Unklarheit über
den Leistungsstand der Schüler und damit die Leistungsfähigkeit der Schulart, als einzige Schulart
rückläufige Anmeldezahlen, bevorstehende Standortschließungen, massive Abwanderungstendenzen
bei den gymnasialen Lehrkräften. Und auf solch einen fragilen, erodierenden Unterbau soll eine
Oberstufe drauf gesetzt werden? Eine solche Maßnahme hat das Potential, zum Top-Flop der baden-
württembergischen Bildungspolitik zu werden.
Alle Bemühungen des Schönredens und der Schönfärberei, die die GMS-Traumtänzer inklusive des
Ministerpräsidenten (nach ihm sind die Gemeinschaftsschulen auf einem sehr guten Weg!) anlässlich
des Jubel-Festaktes zum fünfjährigen Bestehen der Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg am
3.2.2018 geboten haben, entsprechen nur mehr einem verzweifelten Aufbäumen gegen das sich
abzeichnende Scheitern der von Grün-Rot 2012 eingeführten Schulart.“
Dass nun auch noch ausgerechnet die Nachbargemeinden, welche bereits alle Schulen von
Gemeinschaftsschulen über Realschulen bis zu allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien
bereitstellen, die unnötige Installierung einer Gemeinschaftsschuloberstufe in einer öffentlich-
rechtlichen Vereinbarung befürworten sollen, ist nicht nachvollziehbar. Es wäre eine Befürwortung
zur Schwächung eigener Schulstandorte.
Die Oberstufen der beruflichen Schulen und allgemeinbildenden Gymnasien in der Region um Salem
und Friedrichshafen sowie andernorts in Baden-Württemberg sind bestens ausgestattet und bieten
den befähigten Realschulabsolventen alle Möglichkeiten, die Hochschulreife zu erlangen.
Abschließend stellen die Verbandsvorsitzenden fest: „Kostspielige Experimente und
Schulstrukturdebatten müssen jetzt endlich — wie versprochen — ein Ende haben. Eine auf
Zahlentrickserei gründende Oberstufe an Gemeinschaftsschulen würde erneut zu erheblichen
Verwerfungen in der Schullandschaft führen. Die Zeiten von kirchturmpolitisch befeuerten
Begehrlichkeiten in Verbindung mit ideologisch vererbter, schulpädagogischer Sehschwäche sollen
endgültig der Vergangenheit angehören“.
Die Unterzeichnenden:
Herbert Huber
Landesvorsitzender des Berufschullehrerverbands BW (BLV)
Dr. Karin Broszat
Landesvorsitzende des Realschullehrerverbands BW (RLV)
Bernd Saur
Landesvorsitzender des Philologenverbands BW (PhV)