Elternvertretung und Philologenverband fordern Wahlfreiheit zwischen G8 und G9
22. Januar 2016
Große Übereinstimmung zwischen Arbeitsgemeinschaft der gymnasialen Eltern beim Regierungspräsidium Stuttgart (ARGE) und Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) zu vielen bildungspolitischen Themen:
* Bewahrung gymnasialer Unterrichtsqualität
* Gleichbehandlung der Schularten
* Ressourcen für individuelle Förderung
Die Elternvertreterinnen und Elternvertreter der Arbeitsgemeinschaft der gymnasialen Elternbeiräte beim Regierungspräsidium Stuttgart (ARGE) treffen sich regelmäßig mit Vertreterinnen und Vertretern des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW) zum Gedankenaustausch über pädagogische und bildungspolitische Themen. Außerdem sind Vertreter des PhV BW regelmäßig zu Gast bei Veranstaltungen für die Elternvertreter der ARGE in Ludwigsburg, über die auch in ‚Gymnasium Baden Württemberg’, der Zeitschrift des Philologenverbands Baden-Württemberg, berichtet wird.
Am 13. Januar 2016 fand in der Geschäftsstelle des Philologenverbands wieder ein solches Treffen statt. Die Teilnehmer waren: Christian Bucksch, Vorsitzender der ARGE, Frau Dr. Vadokas, stellvertretende Vorsitzende, Frau Bessner, Schriftführerin, und Schatzmeister Herp. Der Philologenverband war vertreten durch die beiden Leiter des Bildungspolitischen Arbeitskreises Silvana Stärr, Bildungsreferentin, und Horst Giesecke, Schriftführer im Bezirksvorstand Nordwürttemberg, sowie die Kolleginnen und Kollegen Anke Lohrberg, Andrea Pilz und Wolfgang Buhmann und durch den Vorsitzenden des PhV BW, Bernd Saur.
Bewahrung von hoher Unterrichtsqualität am Gymnasium, Studienvorbereitung und Studierfähigkeit
Ein wichtiges Thema des Gedankenaustausches war wie immer die Qualität der gymnasialen Bildung. Fachlichkeit und hohe Unterrichtsqualität gehören traditionell zu den wichtigsten Zielen des PhV BW. Bei ihren Veranstaltungen hatten die Eltern u. a. Vertreter der Hochschulen zu Gast, die z. B. im Fach Mathematik auf die Folgen hinwiesen, wenn der gymnasiale Unterricht weniger auf Studierfähigkeit und Wissenschaftspropädeutik ausgelegt wird: Die Studierenden benötigen Aufholkurse an den Universitäten (wie z.B. das MINT-Kolleg), die die Eltern ihnen gerne ersparen würden.
Beim Punkt Wahrung der Fachlichkeit herrscht zwischen den Elternsprechern der ARGE und dem PhV BW große Übereinstimmung. Zur Wahrung der Fachlichkeit bedarf es weiterhin an den Gymnasien universitär gebildeter Lehrkräfte, die ihre Schülerinnen und Schüler ab Klasse 5 auf gymnasialem Niveau auf das Abitur vorbereiten. Darüber hinaus wünschen sich die Eltern der ARGE und der PhV BW mehr Förderung auch für die begabteren Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien.
Moderne Unterrichtsformen an den Gymnasien des Landes sind schon lange Realität
Einig war man sich auch beim Thema der hohen Unterrichtsqualität am Gymnasium im Hinblick auf den Einsatz moderner Unterrichtsmethoden. Die immer wiederkehrenden Behauptungen, das Gymnasium würde sich modernen Unterrichtsmethoden verschließen, sind fern der Realität. Gymnasiallehrkräfte unterrichten wie ihre Kolleginnen und Kollegen an anderen Schularten aufgrund ihrer Ausbildung nach den modernsten Methoden.
Sowohl der ARGE als auch dem PhV BW ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Methodenfreiheit erhalten bleibt. Lehrkräfte am Gymnasium sollten sich nicht auf sogenanntes individualisiertes und kooperatives Lernen fixieren, das zurzeit häufig als eine Art pädagogisches Allheilmittel angepriesen wird, sondern sie sollten einen Methodenmix betreiben, der der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler und der Vielfalt der gymnasialen Fächer und Themen angemessen ist.
Wahlfreiheit für Eltern zwischen G8 und G9
Große Einigkeit herrschte auch beim Thema ‚Wahlfreiheit zwischen G8 und G9’. Sowohl die Eltern als auch der PhV wünschen sich diese Wahlfreiheit. Die äußerst große Zahl der Eltern, die für ihre Kinder diesen Weg wählen möchte, spricht eine deutliche Sprache. Im G8 fehle es generell an der Zeit zum Üben und Vertiefen, so Eltern und Lehrkräfte.
Ein Konsens sollte allerdings gefunden werden in der Frage, welches G9-Modell die Schülerinnen und Schüler am meisten fördert. Erfahrungen aus verschiedenen G9-Schulen belegen, dass eine Dehnung in der Mittelstufe aufgrund der Pubertät und weiterer Faktoren, für die Schülerinnen und Schüler, die das G9 wünschen oder brauchen, sehr hilfreich ist. Klaus Nowotzin, stellvertretender Vorsitzender im PhV Baden-Württemberg, hat ein solches Modell entwickelt.
Elternvertreter und PhV BW wollen, dass sich für die Schülerinnen und Schüler ein pädagogischer Mehrwert (z. B. das Erlernen eines Musikinstruments, ein längerer Auslandsaufenthalt, ein Sozialpraktikum, mehr Wiederholen und Vertiefen, mehr Lesen) ergibt, wenn sie ein G9-Gymnasium besuchen. Sowohl die Eltern als auch der PhV wundern sich schon lange darüber, dass bisher weder von einer wissenschaftlichen Begleitung noch von einer Evaluierung der 44 G9-Versuchs-Gymnasien zu hören war.
Der Arbeitskreis Gymnasium 2020
Sowohl der PhV BW als auch die Eltern wünschen sich seit über einem halben Jahr eine klare Stellungnahme des Kultusministeriums zum Thema ‚Arbeitskreis Gymnasium 2020’, die vom Kultusministerium (KM) bereits für Juli 2015 angekündigt war. Stattdessen wird vom KM ganz pauschal gefordert, das Gymnasium müsse sich weiterentwickeln, allerdings ohne genau zu sagen, in welche Richtung eine solche Weiterentwicklung des Gymnasiums gehen soll. Das KM wird aufgefordert, nun endlich zu sagen, welche Punkte aus dem Papier warum und in welcher Weise umgesetzt werden sollen.
Qualitätsnachweis der Gemeinschaftsschulen
Bevor immer neue Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden — die Landesregierung gibt deren Wunschzahl bis 2020 mit 500 Schulen dieser Art an, aktuell gibt es 271 Gemeinschaftsschulen — fordern die Eltern einen Leistungsnachweis dieser neuen Schulart hinsichtlich des den Eltern zugesagten gymnasialen Standards (E‑Niveau). Die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse geben keine Auskunft über das tatsächlich erreichte Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler und damit über die Leistungsfähigkeit der Schulart.
Auch beim Thema ‚Qualitätsnachweis der Gemeinschaftsschule’ wünschen sich die Eltern der ARGE Stuttgart und der PhV Baden-Württemberg mehr Transparenz. Es gibt vermehrt Rückmeldungen von Lehrkräften verschiedener Schularten aus den Gemeinschaftsschulen, die eine Rückkehr an ihre ursprüngliche Schulart wünschen, was man ihnen aber verwehrt. Sie wollen es nicht länger verantworten, nach einer Unterrichtsphilosophie zu unterrichten (bzw. als Lernbegleiter zu wirken), die sie als höchst ineffizient und defizitär erkannt haben.
Für Eltern und Lehrervertreter stellt sich die Frage, warum in Zeiten akuten Lehrermangels Lehrkräften mit einer langen Ausbildung diese Möglichkeit nach wie vor verwehrt wird, wenn sogar manche von ihnen den Dienst quittieren oder nach einer anderen Lösungsmöglichkeit außerhalb des Schuldienstes suchen.
Gleichbehandlung aller Schularten hinsichtlich der Ressourcen und der Klassengrößen
Immer wieder werden in Zeitungen neu gegründete Gemeinschaftsschulen genannt, die die Mindestzahl von 40 Schülern nicht erreichen und dadurch Klassengrößen von unter 20 Schülern haben, während an den Gymnasien die Klassen aufgefüllt werden bis zum Klassenteiler von 30, in den Eingangsklassen sogar 31 Schülerinnen und Schüler pro Klasse (Klassenausgleichsmaßnahmen).
Gleichzeitig wird an die Gymnasiallehrkräfte ständig die Forderung nach mehr Individualisierung auch an den Gymnasien gestellt. Die Stunden für die Organisation der Hausaufgabenbetreuung und den Ergänzungsbereich, die auch früher schon nicht ausreichten, um dieser Forderung nachzukommen, wurden den Gymnasien bisher nicht zurückgegeben, obwohl sich der Hauptpersonalrat Gymnasien und der PhV BW nachdrücklich dafür einsetzen.
Die Gleichbehandlung aller Schularten und der Gemeinschaftsschulen hinsichtlich Klassengröße und Unterrichtsversorgung ist ebenfalls ein gemeinsames Anliegen von Lehrervertretungen und Eltern.
Mehr individualisiertes Lernen durch Garantie eines bestimmten Profils sowie die Wiedereinführung von Grund- und Leistungskursen
Eltern, die sich bei der Wahl eines Gymnasiums für ein bestimmtes Profil für ihre Kinder entschieden haben, müssen an andere Gymnasien mit anderen Profilen verwiesen werden, wenn die Klassen an der Wunsch-Schule voll sind. Dies widerspricht eklatant der Forderung nach Individualisierung. Besonders in der Oberstufe könnte man durch die Schaffung von Grund- und Leistungskursen den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich in bestimmten Fächern intensiver auf ihr Studium bzw. ihren Beruf vorzubereiten.
Eltern und Vertreter des PhV BW sind sich einig, dass die Wiedereinführung von Grund- und Leistungskursen sowohl der Förderung der Fachlichkeit als auch der Individualisierung dienen würde. Vertreter der Hochschulen, die auf ARGE-Veranstaltungen referierten, unterstützen ebenfalls die Forderung zur Rückkehr von Grund- und Leistungskursen.
Ressourcen für die Förderung der Schülerinnen und Schüler nach der Diagnose durch ‚Lernstand 5′
Es fehlt an notwendigen Deputatsstunden für die Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Eingangsklassen nach erfolgter Diagnose durch den ‚Lernstand 5′.
Häufig müssen wichtige Arbeitsgemeinschaften geopfert und aufgelöst werden, damit die dort unterrichtenden Lehrkräfte den Regelunterricht halten können, der sonst krankheitsbedingt ausfallen würde. Solche Maßnahmen an den Schulen (Vertretung durch sog. ‚Bordmittel’) sind für Eltern oft nur schwer nachvollziehbar.
Häufig reichten die Mittel für Vertretung nur bis kurz vor Weihnachten, so eine der Elternvertreterinnen. Danach müssten die Schulen sehen, wie sie die Vertretungen, die z. B. durch Krankheit und Elternzeiten entstehen, vertreten können.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden über 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt über 8.500 im Verband organisierte Lehrerinnen und Lehrer an den 446 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der rund 27.000 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.