Übergabe der Online-Petition des PhV BW “Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 in BW zulassen!” mit 14.607 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Landtages

10. Oktober 2016

Die Online-Peti­tion des Philolo­gen­ver­ban­des Baden-Würt­tem­berg (PhV BW) zur Wahl­frei­heit zwis­chen G8 und G9 hat­te bin­nen drei Monat­en von April bis Juli 2016 die Unter­stützung durch weit über 14.000 Unterze­ich­n­er gefun­den.

Zu Beginn der Som­mer­fe­rien, am 4. August 2016, über­gaben der Ini­tia­tor der Online-Peti­tion Cord San­tel­mann und der Vor­sitzende des PhV BW Bernd Saur die Unter­schriften an Kul­tus­min­is­terin Susanne Eisen­mann mit der Auf­forderung, weit­ere G9-Stan­dorte zu ermöglichen, wenn Schulen, Schul­träger, Schüler und Eltern vor Ort dies wün­schen, und damit Schü­lerin­nen und Schüler des Lan­des Wahl­frei­heit zwis­chen G8 und G9 zu geben.

In der heuti­gen Lan­despressekon­ferenz wurde die Über­gabe der Online-Peti­tion mit den 14.607 Unter­schriften an den Peti­tion­sauss­chuss des Land­tages bekan­nt­gegeben. Bernd Saur und Cord San­tel­mann bekräftigten bei dieser Gele­gen­heit noch ein­mal die Argu­mente, die für eine Wahl­frei­heit zwis­chen G8 und G9 für alle Schü­lerin­nen und Schüler des Lan­des sprechen.

Unter­stützt wurde der Philolo­gen­ver­band BW in der heuti­gen Lan­despressekon­ferenz von Dr. Matthias Bur­chardt, Erziehungswis­senschaftler an der Uni­ver­sität Köln, der in seinen Aus­führun­gen beson­ders darauf hin­wies, dass man rück­blick­end kaum nachvol­lziehen könne, warum eine Schulzeitverkürzung (G8) über­haupt beschlossen wurde. “Einen wesentlichen Kon­text bildet hier sich­er die von der OECD mit­tels PISA insze­nierte Schock-Stim­mung, wodurch poli­tis­ch­er Aktion­is­mus an die Stelle besonnen­er Abwä­gun­gen getreten ist.” erk­lärte Bur­chardt. G8 ste­he in ein­er beden­klichen Rei­he von Refor­men (Kom­pe­ten­zori­en­tierung, usf.), welche das Bil­dungssys­tem bis in seine Fun­da­mente erschüt­tert haben und eine ganze Gen­er­a­tion von Kindern zu Ver­such­sob­jek­ten in einem Exper­i­ment mit ungewis­sem Aus­gang gemacht haben.

Matthias Bur­chardt betonte dies­bezüglich, dass die Bilanzen unter­dessen ernüchternd seien: “Während sich die Belas­tun­gen für Schulen, Jugendliche und Fam­i­lien sehr konkret niedergeschla­gen haben, offen­baren neueste Stu­di­en zur Aus­bil­dungsreife und Studier­fähigkeit (Huthmacher/Hoffmann 2016. http://www.kas.de/wf/doc/kas_44796-544–1‑30.pdf?160407120128), dass zwar die Zahl von guten Schu­la­b­schlüssen angewach­sen ist, Wis­sen, Kön­nen und Per­sön­lichkeits­bil­dung aber weit hin­ter das Niveau vor den Refor­men zurück­ge­fall­en sind.”

Abschließend stellte Bur­chardt fest, dass in den meis­ten Bun­deslän­dern deshalb — nicht zulet­zt durch die Argu­men­ta­tion­sar­beit der Eltern­schaft oder Lehrerver­bände — die Ein­sicht reift, dass mit der Schulzeitverkürzung auch ein Qual­itätsver­lust ein­herg­ing, nicht nur zu Las­ten der Schü­lerin­nen und Schüler, son­dern auch zu Las­ten der Unternehmen und Uni­ver­sitäten. “Die Zeit für einen Über­gang, der wieder Ruhe in die Schulen und Fam­i­lien bringt, ist gekom­men”, fordert Bur­chardt:

“Ver­tieftes Ler­nen und Per­sön­lichkeits­bil­dung kön­nen im all­ge­mein­bilden­den Gym­na­si­um in einem Bil­dungs­gang auf die drei bedeut­samen Leben­sphasen — von der späten Kind­heit über die Pubertät bis ins Alter des jun­gen Erwach­se­nen — abges­timmt wer­den, so dass nicht nur Studier­fähigkeit und Aus­bil­dungsreife wieder angemessen unter­stützt wer­den kön­nen, son­dern auch die charak­ter­liche Entwick­lung.

Die zeitliche Ent­las­tung der Jugendlichen schafft Spiel­räume für Muße, außer­schulis­che Bil­dung, soziales, sportlich­es, kirch­lich­es oder poli­tis­ches Engage­ment. G8 war ein bedrohlich­er Ein­schnitt für weite Teile des kul­turellen Lebens in den Fam­i­lien und Kom­munen.

Die Gewährung von Wahl­frei­heit trägt dem Bedürf­nis viel­er Eltern Rech­nung. Die Poli­tik ste­ht aber auch in der Ver­ant­wor­tung, die Schulen dazu in die Lage zu ver­set­zen, ein päd­a­gogisch hochw­er­tiges G9 zur Ver­fü­gung zu stellen. Dazu gehören nicht nur Konzepte zur Begabten­förderung, son­dern auch eine fach­liche Anre­icherung der Bil­dungspläne.”

“Die Ini­tia­tive des Philolo­gen­ver­ban­des Baden-Würt­tem­berg ist in diesem Zusam­men­hang aus­drück­lich zu unter­stützen”, so Bur­chardt.

Cord San­tel­mann, Bezirksvor­sitzen­der und Ref­er­ent für Beruf­spoli­tik im PhV BW, fasste in der Pressekon­ferenz noch ein­mal die Entwick­lung und die Erfahrun­gen beim sog. Schul­ver­such mit G9-Zügen an 44 Gym­nasien des Lan­des zusam­men. San­tel­mann betonte: Die weni­gen G9-Stan­dorte waren in Baden-Würt­tem­berg von Beginn an über­laufen, sodass dort meist kom­plett auf G9 umgestellt wurde. Die Eltern­schaft in Baden-Würt­tem­berg wün­scht offen­sichtlich zu 80 — 90 Prozent ein flächen­deck­endes G9-Ange­bot am all­ge­mein­bilden­den Gym­na­si­um.

Der halb­herzige G9-Schul­ver­such verur­sacht deshalb schmerzhafte Unwucht­en. Viele G9-Gym­nasien platzen wegen der über­großen Nach­frage aus allen Näht­en. In Pforzheim musste ein G9-Gym­na­si­um gar Räum­lichkeit­en in einem Super­markt für Unter­richt­szwecke anmi­eten. Die im Einzugs­bere­ich von G9-Gym­nasien liegen­den G8-Gym­nasien dage­gen bluten aus.

Während der Laufzeit der Peti­tion wur­den lan­desweite Aktion­stage “G9? Klingt gut!” mit Unter­schriften­samm­lung und Straßen­musik organ­isiert, denn die Peti­tion hat beson­ders große Zus­tim­mung von Musikpäd­a­gogen, Musikschulen und Musikvere­inen erfahren. Der Tonkün­stlerver­band Baden-Würt­tem­berg DTKV, der Bun­desver­band des DTKV und der Lan­desmusikrat Baden-Würt­tem­berg haben zur Teil­nahme an der die Online-Peti­tion aufgerufen.

Der de fac­to Ganz­tags­be­trieb des G8 macht es näm­lich vie­len Schü­lerin­nen und Schülern ab der Mit­tel­stufe nahezu unmöglich, sich am Nach­mit­tag weit­er­hin dem Erler­nen eines Instru­ments oder dem Musizieren in Chor oder Orch­ester zu wid­men. In Musik­erkreisen macht deshalb schon Gal­gen­hu­mor die Runde: “Jet­zt muss man ‘Jugend musiziert’ in ‘Kinder musizieren’ umbe­nen­nen, denn Jugendliche haben wegen G8 ja kaum noch Zeit fürs Musizieren.”

San­tel­mann forderte Kul­tus­min­is­terin Eisen­mann auf, über alle — vielle­icht vorschnellen — Fes­tle­gun­gen des Koali­tionsver­trags hin­weg rasch Mit­tel und Wege zu find­en, dem Bürg­er­willen zu entsprechen und das G9-Ange­bot auszuweit­en.

Bernd Saur, Vor­sitzen­der des PhV BW, sieht die Rück­kehr zum neun­jähri­gen Gym­na­si­um bzw. die Wahl­frei­heit zwis­chen G8 und G9 als einen bun­desweit­en Trend, den Baden-Würt­tem­berg nicht ignori­eren kann: Nieder­sach­sen ist flächen­deck­end zu G9 zurück­gekehrt, in Hes­sen wurde Wahl­frei­heit zwis­chen G8 und G9 gewährt, was die Rück­kehr der meis­ten Gym­nasien zu G9 bewirkt hat, in Bay­ern wur­den die Weichen in Rich­tung Par­al­lelführung gestellt und in NRW ste­ht ein Volks­begehren zu G9 an.

“Wir verken­nen nicht, dass Anstren­gun­gen unter­nom­men wur­den, das G8 verträglich­er zu gestal­ten. Aber sind all diese Verbesserungsver­suche let­z­tendlich geeignet, den Weg­fall eines ganzen Schul­jahres zu kom­pen­sieren? G8 ist ein gutes Ange­bot für leis­tungsstarke Schü­lerin­nen und Schüler, aber viele Gym­nasi­as­ten wür­den von einem Jahr mehr Zeit — nicht zulet­zt mit Blick auf ihre Studier­fähigkeit und per­sön­liche Reife — enorm prof­i­tieren: für ver­tieftes schulis­ches Ler­nen, für eine ver­stärk­te Durch­dringung von Unter­richtsin­hal­ten, für ihre Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung, für mehr Gestal­tungsspiel­raum am Nach­mit­tag für sportlich­es, musis­ches oder ehre­namtlich­es Engage­ment, für mehr Zeit zum Lesen und zur Teil­nahme an außer­schulis­chen Zer­ti­fizierun­gen, für einen län­geren Aus­land­saufen­thalt und für vieles mehr. Was wir uns vorstellen ist ein Mehrw­ert­gym­na­si­um”, so Bernd Saur.

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An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den über 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt über 8.700 im Ver­band organ­isierte Lehrerin­nen und Lehrer an den 446 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der rund 27.000 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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