Pressemitteilung des Philologenverbandes Baden-Württemberg (PhV BW) zur Panne im Gemeinschaftskunde-Abitur 2019
16. Mai 2019
Zum Gemeinschaftskunde-Abitur 2019 äußert sich der Vorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg (PhV BW), Ralf Scholl, wie folgt:
Von Seiten der Gemeinschaftskundelehrer wurde an dem Begriff „Kategorienmodell”, der für Verwirrung in der Gemeinschaftskunde-Abiturprüfung 2019 gesorgt hat, seit Jahren Kritik geübt, da er in diesem Zusammenhang unüblich und unklar bzw. schlecht definiert ist. Im Unterricht (und auch in den Lehrerfortbildungen zum Bildungsplan) wurde dieser Begriff durch die alternativen (und genaueren) Begriffe „Theorien”, „Deutungsmodelle” und „Deutungsansätze” ersetzt.
Mit anderen Worten: Die im Bildungsplan festgelegten Inhalte wurden von den GK-Lehrkräften sehr wohl behandelt. Lediglich der Begriff „Kategorienmodell” wurde an 130 von 200 betroffenen Gymnasien im Unterricht nicht verwendet.
Wenn dieser „Fehler“ an zwei Drittel der Schulen passiert ist, dann ist dies kein Zufall. Vielmehr scheint hier eine Unklarheit in der Vermittlung des Bildungsplanes in der Fläche zu bestehen, die nicht den einzelnen Lehrkräften angelastet werden kann. Statt also jetzt ein plattes Lehrerbashing zu betreiben, sollte eher die Frage gestellt werden, wie der in Fachlehrerkreisen umstrittene Begriff „Kategorienmodell”, der in keinem Schulbuch vorkommt und in keiner Internetrecherche in diesem Zusammenhang gefunden werden kann, überhaupt in den Bildungsplan für das Fach Gemeinschaftskunde und in der Folge jetzt (nach Jahren) auch in die gestellte Abituraufgabe hinein kam. Hier hätte die Kultusverwaltung seit langem für Klarheit sorgen können.
Im Bildungsplan von 2004 steht:
KOMPETENZEN UND INHALTE FÜR GEMEINSCHAFTSKUNDE GYMNASIUM – KURSSTUFE (4‑STÜNDIG)
4. INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN UND INTERNATIONALE POLITIK
4.1 Struktur der Staatenwelt und Konfliktbewältigung
Die Schülerinnen und Schüler können die Struktur der internationalen Staatenwelt mithilfe eines Kategorienmodells beschreiben; (…)
In den GK-Bildungsstandards von 2016 wurde diese Formulierung mit „Kategorienmodell” übrigens durch folgende, sehr viel genauere Formulierung ersetzt:
Die Schülerinnen und Schüler können Antworten auf die Frage geben, wie das internationale System aufgebaut ist (Ordnung und Struktur), welche Regeln die internationale Politik bestimmen (Regeln und Recht), wie Entscheidungen in den internationalen Beziehungen getroffen werden (Macht und Entscheidung), welche Akteure die internationale Politik beeinflussen (Privatheit und Öffentlichkeit) und welche Handlungsmotive ihr Verhalten bestimmen (Interessen und Gemeinwohl).
Anzumerken bleibt, dass die betreffende Aufgabe eine von zwei Wahlaufgaben war. Schülerinnen und Schüler, die mit dem Begriff nichts anzufangen wussten, hätten also problemlos die andere Aufgabe (zum Thema „Integration”) wählen können.
Auch hier (wie schon bei dem angeblich zu schweren Mathematik-Abitur in Bayern) scheint die „Empörungskultur” wieder einmal hohe Wellen zu schlagen.
Dass den betroffenen Schülerinnen und Schülern jetzt die Möglichkeit einer Wiederholung der Abiturprüfung in Gemeinschaftskunde eingeräumt wird, scheint fair, denn die Schüler haben die entstandenen Probleme ja nicht zu verantworten.
Dass die Betroffenen sich binnen 24 Stunden entscheiden müssen, ob sie an der Wiederholungsprüfung teilnehmen, ist die notwendige Folge der zeitlichen Enge, denn die Wiederholungsklausuren müssen ja ebenfalls noch erst‑, zweit- und drittkorrigiert werden.
Erste Anzeichen deuten übrigens darauf hin, dass sich weniger als ein Viertel der Betroffenen für eine Wiederholung der Prüfung entscheidet.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden über 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit rund 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich verfügt der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien über die Mehrheit, stellt die jeweiligen Vorsitzenden und setzt sich dort für die Interessen der ca. 30.000 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.