Signal vom 2. Bundesweiten Gymnasialtag 2016 im Haus der Wirtschaft in Stuttgart

7. März 2016

07.03.2016 / 1811 — 05–16

* gegen alle Angriffe auf das Gym­na­si­um, gegen Ein­heit­slehrer und Ein­heits­bil­dungs­plan, gegen Absenkung des Niveaus am Gym­na­si­um und beim Abitur

* für Rück­nahme der Stre­ichung von Anrech­nungsstun­den, für eine Absenkung der wöchentlichen Unter­richtsverpflich­tung gym­nasialer Lehrkräfte, für Bere­it­stel­lung aus­re­ichen­der Ressourcen zur Umset­zung von Bil­dungsre­for­men

Gym­nasial­t­ag ohne Vertreter der Lan­desregierung

In sein­er Begrüßung zur Eröff­nung der Ver­anstal­tung wies Heinz-Peter Mei­dinger, Vor­sitzen­der des Deutschen Philolo­gen­ver­ban­des (DPhV), darauf hin, dass der Gym­nasial­t­ag ohne Vertreter der Lan­desregierung stat­tfind­en werde, obwohl schon vor Monat­en der Kul­tus­min­is­ter Andreas Stoch (SPD) und der Min­is­ter­präsi­dent Win­fried Kretschmann (GRÜNE) zu einem Gruß­wort ein­ge­laden und ange­fragt waren. Erst nach langer Zeit und zu spät, um noch einen Ersatz in der Lan­desregierung zu find­en, kam schließlich die Absage wenige Wochen vor der Ver­anstal­tung.

Heinz-Peter Mei­dinger begrüßte alle ein­ge­lade­nen Gäste und Teil­nehmer an dem Tagung­spro­gramm des Gym­nasial­t­ages und ver­wies auf die über 200-jährige Erfol­gs­geschichte des Gym­na­si­ums, das sich als anpas­sungs­fähig, weltof­fen und zukun­fts­fähig erwiesen habe. Mei­dinger kri­tisierte die Bestre­bun­gen um einen ein­heitlichen Bil­dungs­plan und eine Ein­heit­slehrerbil­dung, die zu ein­er Niveauab­senkung am Gym­na­si­um führen wür­den. Ohne Inhalte, ohne Wis­sen könne es keine Kom­pe­ten­zen geben, betonte Mei­dinger. Er rief die rund 300 Tagung­steil­nehmer dazu auf, sich am heuti­gen Tag u.a. in den rund 30 Work­shops über das mod­erne Gym­na­si­um zu informieren, das entsprechend dem Mot­to “inno­v­a­tiv — indi­vidu­ell — inter­diszi­plinär” für selb­st­ständig denk­ende junge Men­schen ein vielfältiges auch fachüber­greifend­es Ange­bot bere­i­thält.

Wolf-Rüdi­ger Feld­mann, stel­lvertre­tender Vor­sitzen­der des Ver­ban­des Bil­dungsme­di­en und Mitver­anstal­ter des Gym­nasial­t­ages, begrüßte die Teil­nehmer des Fort­bil­dungstages zu einem “Tag des pro­fes­sionellen Aus­tausches”. Es sei angesichts der mit Anspruch und Ziel der “Bil­dungs­gerechtigkeit” in Baden-Würt­tem­berg angestoße­nen Bil­dungsre­for­men kein Zufall, dass der Gym­nasial­t­ag dies­mal in Stuttgart stat­tfinde, auch im Hin­blick auf die bevorste­hende Ein­führung eines neuen Bil­dungs­planes zum Schul­jahr 2016/17. Die angestrebten Ziele seien aber nur mit ein­er angemesse­nen Ausstat­tung und zusät­zlichen Ressourcen zu erre­ichen, über­mit­telte er seine Forderung an die Poli­tik. Außer­dem müssen seit­ens des Kul­tus­min­is­teri­ums schnell und rechtzeit­ig die Rah­menbe­din­gun­gen für die Zulas­sung der Lehrmit­tel geschaf­fen wer­den.

Im Hauptvor­trag dieses Tages set­zte sich Har­ald Marten­stein, Kolum­nist DIE ZEIT und Der Tagesspiegel, mit ver­schiede­nen Ansicht­en von Bil­dungsre­formern kri­tisch-humor­voll auseinan­der. Er stellte in den Raum, wie das Tur­bo-Abitur in acht Jahren zunächst als “Super-Idee” ange­priesen wurde und fragte, wo denn die Gren­ze für eine Verkürzung liege. Er stellte angesichts des in manchen Bun­deslän­dern offen­sichtlich immer ein­fach­er wer­den­den Abiturs (immer mehr Durch­schnitte 1,0), die “Ver­mu­tung” an, dass auf diese Weise das Ziel “mehr Bil­dungs­gerechtigkeit” erre­icht wer­den solle.
Entsprechend kri­tisierte Marten­stein Bestre­bun­gen zur “Abschaf­fung der Noten und des Sitzen­bleibens”. Er betonte, das Gym­na­si­um solle “für alle offen” sein, “jed­er müsse selb­stver­ständlich eine Chance auf Bil­dung erhal­ten”, aber “er müsse sie auch nutzen”.

Bernd Saur, Vor­sitzen­der des Philolo­gen­ver­ban­des Baden-Würt­tem­berg (PhV BW), bedauerte in seinem Gruß­wort, dass die Lan­desregierung an diesem Tage nicht präsent sei. Er wolle sie deshalb durch zwei Zitate zu Wort kom­men lassen. Er zitierte aus einem Brief des Kul­tus­min­is­ters an die Eltern des Lan­des (Akten­ze­ichen 36–6411.50/357/2):
“Wir wis­sen um die Leis­tun­gen des Gym­na­si­ums in Baden-Würt­tem­berg und um die Qual­ität unseres Abiturs, das bele­gen auch die Zahlen des Sta­tis­tis­chen Bun­de­samtes: dem­nach haben in keinem anderen Bun­des­land Studierende eine höhere und ver­lässlichere Aus­sicht, ein Fach­studi­um erfol­gre­ich abzuschließen, als die Absol­ventin­nen und Absol­ven­ten der baden-würt­tem­ber­gis­chen Gym­nasien.”
… und zitierte sodann den Min­is­ter­präsi­den­ten (selb­st gel­ern­ter Gym­nasiallehrer), der zum Gym­na­si­um sagte: “Das deutsche Bil­dungs­bürg­er­tum liebt nun mal sein Gym­na­si­um, und wir teilen diese Liebe.”

Angesichts der konkreten poli­tis­chen Bemühun­gen der let­zten fünf Jahre warf hierzu der Vor­sitzende des PhV BW die Frage auf, wer denn mit dem “wir” gemeint sein kön­nte. “Die Grüne Jugend mit Sicher­heit nicht”, stellte Saur fest, “die fordern die Abschaf­fung des Gym­na­si­ums. Denen kon­nte er klar machen, dass wer dies fordert, ganz schnell poli­tisch abges­traft wer­den kann.” Saur ver­wies in diesem Zusam­men­hang auch darauf, dass trotz des hohen Anse­hens des Gym­na­si­ums und sein­er gym­nasialen Lehrkräfte, die laut der früheren Min­is­te­rialdirek­torin an die Gemein­schaftss­chule wech­seln soll­ten, um das Image der­sel­ben zu heben, dass trotz­dem die Gemein­schaftss­chule als die “Speer­spitze mod­ern­ster Päd­a­gogik” beze­ich­net wird.

Der Vor­sitzende des PhV BW fragte anknüpfend an die vor eini­gen Wochen vorgelegte “Wis­senschaftliche Begleit­forschung zur Gemein­schaftss­chule in BW”, was denn der Kul­tus­min­is­ter daraus fol­gere, und zitierte aus dessen Pressemit­teilung vom 26. 1. 2016, wo dieser fest­stellt, “… die Gemein­schaftss­chulen müssen den Ver­gle­ich mit anderen Schu­larten nicht scheuen und befind­en sich auf einem guten Weg.” Angesichts der Tat­sache, dass die Studie neben ein­er unver­ant­wortlich hohen Arbeits­be­las­tung der Lehrkräfte auch bestätigt, dass das Ker­nele­ment “selb­st­ges­teuertes Ler­nen” aus­gerech­net für leis­tungss­chwächere Schüler nicht funk­tion­iert und noch dazu — gewis­ser­maßen als Höhep­unkt — Schüler­leis­tun­gen gar nicht Bestandteil der Studie waren, wies Bernd Saur alle päd­a­gogis­chen und method­isch-didak­tis­chen Belehrungs­be­stre­bun­gen gegenüber dem Gym­na­si­um zurück.

Saur fasste zusam­men: “Die Entwick­lung wird zeigen, wer von wem eher wird ler­nen kön­nen. Wir lassen nicht zu, dass sich aus der Eiche ‘Gym­na­si­um’, dem Zugpferd unseres deutschen Bil­dungswe­sens, ein Bon­sai-Gym­na­si­um entwick­elt. Wer das Gym­na­si­um wirk­lich liebt, der kann diese Liebe auf vielfältige Weise aus­drück­en, etwa indem man die Dep­u­tate spür­bar absenkt (Vor­bild Bay­ern) und die Stre­ichun­gen von Anrech­nungsstun­den rück­gängig macht.”

Das Gym­na­si­um habe in sein­er Geschichte schon so manche Anfein­dung über­standen, so Saur, weil es ober­fläch­lich­er Zeit­geist­gläu­bigkeit eine pro­fes­sionelle Bal­ance zwis­chen einem durch­dacht­en Behar­rungsver­mö­gen und sin­nvoller Inno­va­tions­bere­itschaft ent­ge­gen hält. “Wer weiß, vielle­icht wird sich auch die Weg­nahme eines ganzen Schul­jahres dere­inst als geschichtlich­es Inter­mez­zo erweisen!”

Bil­dung und Leis­tung gehören zur Iden­tität von Baden-Würt­tem­berg, betonte Saur. “Bei uns heißt es: Der Schiller und der Hegel, der Schelling und der Hauff, das ist bei uns die Regel, das fällt uns gar nicht auf.” Auch manch Tüftler und Natur­wis­senschaftler habe das Län­dle geprägt: Stein­beis, Kepler, Robert Bosch (der übri­gens kein Hochdeutsch kon­nte), Max Eyth, Daim­ler, Messer­schmidt und Graf Zep­pelin.

“Das Gym­na­si­um zu beschnei­den oder zu ver­wässern hieße, einen bedeu­ten­den Teil unseres kul­turellen Erbes in den Neckar zu kip­pen. Möge dieser Tag dazu beitra­gen, uns dieses ein­mal mehr bewusst zu machen.” so Bernd Saur abschließend.

* * *

An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den über 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt über 8.500 im Ver­band organ­isierte Lehrerin­nen und Lehrer an den 446 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der rund 27.000 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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