Zumeldung des PhV BW zu den Aussagen von Ministerpräsident Kretschmann und Kultusministerin Schopper zu G9 und zum Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) an den Schulen in Baden-Württemberg
19. Januar 2023
* PhV begrüßt die Diskussionsbereitschaft der Landesregierung zum Thema G9
* Freiwilliges Soziales Jahr an den Schulen: Schritt vorwärts oder nur Aktionismus?
* PhV-Vorsitzender Ralf Scholl: „Schulen benötigen in erster Linie gut ausgebildete Lehrkräfte, die in Ruhe mit ihren Schülern arbeiten können“
Der Philologenverband Baden-Württemberg, der Verband der gymnasialen Lehrkräfte im Land, begrüßt, dass Kultusministerin Schopper und Ministerpräsident Kretschmann erstmalig den wachsenden politischen Druck durch den laufenden Volksantrag zu G9 anerkennen und Gesprächsbereitschaft gegenüber der G9-Initiative signalisieren.
Dass Baden-Württemberg als letztes westdeutsches Flächenland nicht zu G9 zurückgekehrt ist, ist nach Einschätzung des PhV-Vorsitzenden Ralf Scholl ein Beleg dafür, wie statisch und ohne Weitsicht die Bildungspolitik im Ländle in den letzten Jahren angegangen wurde, obwohl sich die Leistungen der baden-württembergischen Schüler in allen Vergleichstests schon seit 10 Jahren rasant verschlechtern.
Die Idee der Landesregierung, 250 Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr an Schulen zu schaffen, kommentiert der PhV-Vorsitzende folgendermaßen: „Das sieht auf den ersten Blick nach einer guten und schnellen Lösung zur Entlastung der Lehrkräfte aus. Aber stimmt das auch? – Wir haben allein 2500 Grundschulen. 250 FSJ-Plätze sind also anzahlmäßig nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein, und auch die 267 zusätzlichen Stellen für pädagogische Assistenten werden an den 80% der Grundschulen und Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), die keine einzige dieser Stellen erhalten, den Lehrkräfte- und Betreuermangel nicht verändern.“
Zudem bleiben viele Fragen offen: Wie sollen diese FSJ-ler qualifiziert werden? Wenn die ohnehin überlasteten Lehrkräfte, die durch den Einsatz der FSJ-ler ja „auf dem Papier“ entlastet werden, das auch noch zusätzlich leisten sollen, dann werden die Lehrkräfte ja sogar noch zusätzlich belastet…
Sinnvoll ist, dass die FSJ-ler im Wesentlichen an Grundschulen und SBBZ eingesetzt werden sollen.
Rechtlich abzuklären ist, welche Aufgaben die FSJ-ler an den Schulen überhaupt übernehmen können. Das ist bisher völlig unklar.
Einsatz von pädagogischen Assistenten
Pädagogische Assistenten gab es ursprünglich nur im Grundschulbereich. Sie wurden später an Haupt- und Werkrealschulen und auch Realschulen eingeführt. Bezahlt werden sie nach TV‑L S8a, d.h. wie Kindergarten-Erzieherinnen.
Im Gymnasialbereich gab es keine pädagogischen Assistenten, bis das Land das „Rückenwind“-Programm zum Aufholen der Corona-Lücken eingeführt hat.
Seitdem gilt auch hier: Bezahlung nach S8a. Wie man mit Personen ohne Lehramtsstudium fachliche Lücken auf gymnasialem Niveau schließen will, war und ist eine offene Frage! Im Grundschulbereich mag deren Einsatz durchaus noch effektiv sein, an weiterführenden Schulen, insbesondere Gymnasien, sicherlich nicht mehr.
Was an den Schulen fehlt, sind ausgebildete Lehrkräfte, die in Ruhe arbeiten können – und zwar in möglichst homogenen Klassen, sodass eine hohe Unterrichtseffektivität für alle erreicht wird.
Das Allheilmittel „Binnendifferenzierung“ in heterogenen Klassen funktioniert nämlich nicht:
Da die stärkeren Schüler bei erfolgreicher Binnendifferenzierung deutlich mehr und schneller dazulernen als die schwächeren, steigt die Heterogenität in den Klassen nämlich ständig an. Dies sprengt das für eine Lehrkraft Machbare bei konsequenter Durchführung schon nach weniger als einem Jahr, sprich: Förderung durch Binnendifferenzierung funktioniert schon von der Konstruktion her nicht dauerhaft, solange die Lerngruppen nicht jährlich neu zusammengestellt werden.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden knapp 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der ca. 26.500 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.