PhV BW zu Äußerungen von Ministerpräsident Kretschmann zum G9-Volksantrag
16. November 2022
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat vor einer Rückkehr zu G9 als „Einlegen des Rückwärtsgangs“ gewarnt und behauptet, wissenschaftliche Untersuchungen belegten keine Kritik am G8. Das ist schlicht falsch.
In der Studie „Die G8-Reform in Baden-Württemberg: Kompetenzen, Wohlbefinden und Freizeitverhalten vor und nach der Reform“ von 2017, siehe https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11618-017‑0737‑3.pdf, wird eindeutig festgestellt: Bei der schulischen Beanspruchung und den gesundheitlichen Beschwerden der Schülerinnen und Schüler fanden sich in G8-Jahrgängen substanziell höhere Werte.
Auch im Freizeitverhalten zeigten sich in dieser wissenschaftlichen Studie in vier Bereichen statistisch signifikante Unterschiede, wobei die G9-Schüler jeweils mehr Zeit angaben:
Für den Bereich „Freunde treffen“ (… belief sich) der Unterschied zwischen den beiden reinen G8- und G9-Jahrgängen (…) auf rund 171 Minuten.
Bei Nebenjobs gaben die G9-Schüler durchschnittlich 75 Minuten pro Woche mehr an.
Weiterhin fanden sich signifikante Unterschiede für die Bereiche „Sport treiben“ und „Fernsehen“, die sich auf 18,2 Minuten und 22,3 Minuten beliefen.
Außerdem ist es keine „Rückwärtswende“, wenn die Gymnasien durch eine Rückkehr zu G9 als Regelform wieder zukunftsfähig gemacht werden. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) hat gerade erst am 19.09.2022 ihre Empfehlungen dazu veröffentlicht, siehe https://www.kmk.org/kmk/staendige-wissenschaftliche-kommission/veroeffentlichungen.html.
Sie fordert die Einführung von Informatikunterricht als Pflichtfach mit vier Stunden in Klasse 5–10 ab dem Schuljahr 2024/25 und mittelfristig mit sechs Stunden. Zudem ist eine Verstärkung des Gemeinschaftskundeunterrichts in der Mittelstufe von vier auf sechs Stunden aufgrund der Absenkung des Wahlalters in Baden-Württemberg auf 16 Jahre unbedingt notwendig.
Eine Erhöhung der Stundenzahl ist in G8 aber aufgrund der bereits jetzt (zu) großen Belastung der Schülerinnen und Schüler schlicht nicht möglich.
Sechs zusätzliche Stunden Informatik und Gemeinschaftskunde wären also nur durch Kannibalisierung anderer Fächer realisierbar, d.h. durch Stundenkürzungen an anderer Stelle.
Ministerpräsident Kretschmann wäre gut beraten, sich vor seinen Aussagen gründlich zu informieren, wie sich die Lage an den Schulen aktuell darstellt.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden knapp 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der ca. 26.500 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.