Analyse des PhV BW zum Maßnahmenpaket des Kultusministeriums zur Gewinnung von Lehrkräften
4. April 2023
Vorab: Grundsätzlich wäre es sinnvoll gewesen, wenn das Kultusministerium vor dem Schnüren des Maßnahmenpaketes mit den Lehrerverbänden in einen konstruktiven Austausch getreten wäre, um über nachhaltige Maßnahmen zu beraten. — Fehlanzeige! — Dies ist leider überhaupt nicht geschehen.
Der regelmäßige Kontakt zwischen Amtsspitze und Verbänden in Krisenzeiten wurde Ende letzten Jahres eingestellt.
So wirkt das Papier wie ein verzweifelter Versuch des grün-geführten Kultusministeriums, sich einfach über Wasser zu halten, da sich die Lage immer weiter verschärft und entsprechend die Kritik anwächst.
Die von Kultusministerin Schopper vorgestellten 18 Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung hören sich nach viel an, aber es ist wenig Substanz dahinter:
Maßnahme 1: Werbung für den Lehrerberuf
Bringt das wirklich etwas, wenn die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte parallel ungebremst weiter voranschreitet, sogar vom Kultusministerium teilweise selbst vorangetrieben wird? — Siehe Maßnahme 6 — Erschwerung von Teilzeit.
So lange sich die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte nicht grundlegend verbessern, wird das Interesse am Lehrerberuf weiter sinken.
Maßnahme 2: Frühzeitige Personalgewinnung
Mit Stellenausschreibungen im November des Vorjahres soll versucht werden, Referendare im Abschlussjahr bereits ein halbes Jahr vor ihren Abschlussprüfungen zu ans Land zu binden. — Auf diese Weise ist keine Bestenauslese möglich, da erst ein halbes Jahr später die Prüfungsnoten des Referendariats vorliegen. Einstellungen ohne Bestenauslese bedeuten aber einen Verstoß gegen Grundgesetz-Artikel 33 (2): Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. (Und ja: jede Beamtenstelle ist ein „öffentliches Amt“!)
Ist man im Kultusministerium eigentlich so verzweifelt, dass eklatante Grundgesetzverstöße zur Norm werden?
Maßnahme 4: Perspektiven für Personen mit ausländischer Lehramtsausbildung
Hier wird reine Ankündigungspolitik betrieben. „Wir werden eine Möglichkeit schaffen…“ — Wo sind die Details? — Der Ukraine-Krieg tobt seit über einem Jahr. Genauso lange strömen auch schon ukrainische Lehrkräfte als Flüchtlinge zu uns ins Land.
Maßnahme 5: Durchbezahlung in den Sommerferien
Diese Maßnahme hätte eigentlich zu denen gehören müssen, die bereits umgesetzt sind: Das Geld für diese Maßnahme wurde bereits im Dezember 2022 in den Landes-Haushalt 2023/24 eingestellt. Es ist eine Schande, dass die Umsetzung dieser Maßnahme bisher von der Schulverwaltung nicht umgesetzt wurde.
Was hier ganz entscheidend fehlt, ist die Weiterbezahlung der fertigen Referendare, die im nächsten Schuljahr eine Stelle erhalten, im August. Damit könnte man eine höhere Bindewirkung an Baden-Württemberg erreichen und auf die rechtlich äußerst zweifelhafte Maßnahme 2 verzichten.
Maßnahme 6: Einschränkung der Teilzeit ohne Voraussetzungen
Abgesehen davon, dass diese Maßnahme die Attraktivität des Lehrerberufs senkt und damit im krassen Widerspruch zu Maßnahme 1 steht, bringt sie gerade gewissenhafte Lehrkräfte in Bedrängnis: Eine ganze Reihe von Lehrkräften sind nämlich auf Teilzeit gegangen, um ihren Beruf so sorgfältig ausüben zu können, wie sie das für nötig erachten. Zitat aus der Zuschrift einer Lehrkraft:
„Ich selbst habe ein Deputat von 17 Stunden, wüsste aber nicht, wie ich ein Deputat von 19 Stunden stemmen sollte. Ich ertappe mich schon bei der Frage, ob ich dann wohl zuerst physisch oder zuerst psychisch erkranken werde.“
Maßnahme 10: Erhöhung der Leitungszeit von Schulleitungen
Die Maßnahme ist richtig, hat aber einen viel zu geringen Umfang! Die große Mehrzahl der Schulen profitiert von dem neuen Trippelschrittchen zudem überhaupt nicht. (Bei den allgemeinbildenden Gymnasien nur ca. 20 von 382. — Das ist nicht einmal der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.)
Maßnahme 15: Weiterentwicklung von Angeboten zur Gesundheitsförderung
Die Nachricht hör’ ich wohl, allein, es fehlt der Glaube: Gesundheitsschutz im Lehrkräftebereich ist ein sträflich vernachlässigtes Thema! — Die wichtigste Maßnahme zum Gesundheitsschutz im Lehrerbereich wäre die Erfassung und gesetzeskonforme Einschränkung der Lehrerarbeitszeit, zu der das Kultusministerium bzw. die Regierungspräsidien seit dem Arbeitszeiturteil des BAG vom 13.9.2022 ohnehin verpflichtet wären.
Hier weigert sich das Kultusministerium, tätig zu werden. Die Kurse zur Verhaltensprävention von Seiten der Lehrkräfte sind bestenfalls Augenwischerei. Ohne eine Verhältnisprävention, die die systematische Überarbeitung angeht, kommen wir hier keinen Schritt weiter. Der wichtigste Schritt für die gymnasialen Lehrkräfte wäre eine Senkung der Deputate auf 23 Wochenstunden, so wie das in Bayern der Fall ist.
Maßnahmen 16 bis 18 (Bereits auf den Weg gebracht)
Alle diese Maßnahmen haben einen viel zu geringen Umfang!
Bei knapp 2500 Grundschulen in „The Länd“ und knapp 2000 weiterführenden Schulen sind 250 zusätzliche FSJ-Plätze und 200 zusätzliche pädagogische Assistenten vielleicht hilfreich, aber von der Menge her einfach nur ein schlechter Witz.
80 — 90% der Schulen werden mit ihren Problemen allein gelassen!
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden knapp 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der ca. 26.500 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.