Gemeinsame Stellungnahme zur Verwendung von Cloud-Software in Schulen

13. Januar 2021

Baden-Würt­tem­bergs Kul­tus­min­is­teri­um plant die Bere­it­stel­lung der Cloud-Soft­ware Microsoft 365 (früher „Microsoft Office 365“) für die Nutzung an Schulen. Dieses Vorhaben ist aus zahlre­ichen Grün­den, nicht zulet­zt auf­grund ungelöster Daten­schutzprob­leme, stark umstrit­ten. Die unterze­ich­nen­den Organ­i­sa­tio­nen wen­den sich deshalb gegen dieses Vorhaben und appel­lieren an die Lan­desregierung, stattdessen auf die Nutzung und den weit­eren Aus­bau vorhan­den­er und in zahl­rei­chen Belan­gen vorteil­hafter­er Open-Source-Lösun­gen für den dig­i­tal­en Unter­richt der Schulen zu set­zen.

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1. Dig­i­tale Sou­veränität

Baden-Würt­tem­berg muss im Sinne der Daseinsvor­sorge und der dig­i­tal­en Sou­veränität in sys­tem­rel­e­van­ten Bere­ichen auf zukun­fts­fähige und dauer­haft ver­füg­bare Netzwerk‑, Soft­ware- und Cloud-Lösun­gen set­zen, ger­ade auch im Bil­dungs­bere­ich. Ein Bun­des­land darf sich nicht von einem Cloud-Ange­bot wie MS 365 abhängig machen, über das es nicht mit voller Sou­veränität selb­st, sich­er und dauer­haft ver­fügt, weil es jed­erzeit vom Anbi­eter oder auf Anweisung der Regierung des Lan­des des Fir­men­sitzes in der Nutzung eingeschränkt oder gar abgeschal­tet wer­den kann.

Im Koali­tionsver­trag der bei­den baden-würt­tem­ber­gis­chen Regierungsparteien ist deshalb eine Open-Source-Strate­gie vere­in­bart wor­den. Diese muss beim Auf­bau der Bil­dungscloud berück­sichtigt wer­den. Auch auf Bun­de­sebene und auf europäis­ch­er Ebene ist die Notwendigkeit ein­er Open-Source-Strate­gie längst erkan­nt.

2. Vorhan­dene Lösun­gen nutzen und stärken

Für die Schulen gibt es in Baden-Würt­tem­berg seit langem quell-offene daten­schutzkon­forme Soft­warelö­sun­gen: Mit Moo­dle (Lern­plat­tform), Big­Blue­But­ton (Videokon­feren­zsys­tem), Libre­Of­fice (Bürosoft­ware), Thun­der­bird (Mail­pro­gramm) und Nextcloud (Dateiablage und Koop­er­a­tion) ste­hen allen Schulen Anwen­dun­gen zur Ver­fü­gung, die den Funk­tion­sum­fang von MS 365 abdeck­en oder übertr­e­f­fen. Bere­its jet­zt bewälti­gen viele Schulen den dig­i­tal­en Unter­richt damit sehr gut. Deshalb kann auf die Nutzung der umstrit­te­nen Cloud-Soft­ware MS 365 an Schulen schon allein aus rein funk­tionalen Gesicht­spunk­ten gut verzichtet wer­den.

3. Daten­schutz

Die Daten­schutzkon­for­mität ein­er Bil­dungsplat­tform ist von zen­traler Bedeu­tung, weil auf ihr sehr sen­si­ble Dat­en der Schü­lerin­nen und Schüler gespe­ichert und ver­ar­beit­et wer­den. Es ist auch durch die restrik­tivste Benutze­rord­nung nicht zu ver­hin­dern, dass z.B. Eltern den Lehrkräften auf dig­i­talem Wege über Krankheitsver­läufe oder Ver­hal­tensprob­leme der Kinder bericht­en. Der Quell­code von MS 365 ist geheim, sodass seine Daten­schutzkon­for­mität nicht über­prüft wer­den kann. Laut der Nutzungs­be­din­gun­gen wer­den von MS 365 zudem ständig zahlre­iche soge­nan­nte Teleme­trie- und Diag­nose­dat­en auf die Serv­er der Fir­ma Microsoft über­tra­gen.

Die daten­schutzrechtlichen Prob­leme rund um den US-Cloud Act, dem die Fir­ma Microsoft in ihrem Heimat­land unter­liegt, und den gescheit­erten EU-US Pri­va­cy Shield sind hin­länglich bekan­nt: Selb­st wenn die Microsoft-Serv­er (wie in diesem Fall beab­sichtigt) in Deutsch­land ste­hen, muss Microsoft Dat­en an Behör­den in die USA über­tra­gen, wenn dies von dort ange­ord­net wird. Selb­st wenn Microsoft (wie kür­zlich rechtlich wert­los zugesichert) gegen solche behördlichen Anfra­gen auf dem Gerichtsweg vorge­hen würde, wäre der Aus­gang ungewiss. Auch der LfDI (Lan­des­beauf­tragte für den Daten­schutz und die Infor­ma­tions­frei­heit) Baden-Würt­tem­bergs hat weit­er­hin erhe­bliche Zweifel an der aktuellen und nach­halti­gen Daten­schutzkon­for­mität von MS 365.

4. Schul­frieden

Wenn eine wegen des Daten­schutzes oder aus anderen Grün­den umstrit­tene Soft­ware an den Schulen einge­set­zt wer­den soll, führt das unver­mei­dlich zu Kon­flik­ten in der Schul­ge­mein­schaft. So ist damit zu rech­nen, dass sich flächen­deck­end einzelne Schüler/innen, Eltern und Lehrkräfte gegen die Nutzung solch­er Soft­ware wehren. Das kön­nte durch Anträge auf Daten­schutzauskun­ft, Wider­sprüche gegen die Daten­ver­ar­beitung oder beamten­rechtliche Remon­stra­tion geschehen. Diese abse­hbare schwere Belas­tung des Schul­friedens sollte von vorn­here­in ver­mieden wer­den, indem zweifels­frei daten­schutzkon­forme Soft­ware einge­set­zt wird.

Auf­grund der Abhängigkeits­beziehun­gen (Schüler/innen — Lehrer/innen, Lehrer/innen — Schulleitun­gen, Schulleitun­gen — Schu­lauf­sichts­be­hör­den) ist der Hemm­schwelle bei der Gel­tend­machung der eige­nen Rechte im schulis­chen Umfeld beson­dere Beach­tung zu schenken. Schulen dür­fen ins­beson­dere Schü­lerin­nen und Schüler nicht in eine Sit­u­a­tion brin­gen, in der diese ihre Grun­drechte gegen Lehrkräfte oder Schulleitun­gen erst durch­set­zen müssen, von denen sie aber beispiel­sweise durch Notenge­bung stark abhängig sind. Es ist die Pflicht der Schule, die Rechte ihrer Schü­lerin­nen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte, aktiv zu schützen. Schulleitun­gen, Lehrkräfte, Schü­lerin­nen und Schüler wer­den durch die Ein­führung von rechtlich und/oder ethisch umstrit­te­nen Lösun­gen in eine höchst kri­tis­che Lage gebracht.

5. Daten­schutzrechtliche Ver­ant­wor­tung bei den Schulen

Die aktuelle Kom­mu­nika­tion des Kul­tus­min­is­teri­ums ver­mit­telt den Ein­druck, man wolle die Schulen von Auswahl und Admin­is­tra­tion geeigneter Dien­ste ent­las­ten. Rechtlich stellt sich die Sit­u­a­tion allerd­ings vol­lkom­men anders dar: Die daten­schutzrechtlich ver­ant­wortliche Stelle ist und bleibt die einzelne Schule, die sich für den Ein­satz eines soge­nan­nten Dien­stes entschei­det. Für Recht­sun­sicher­heit­en ste­ht also nicht das Kul­tus­min­is­teri­um ger­ade, son­dern die jew­eilige Schulleitung vor Ort. Diese daten­schutzrechtliche Ver­ant­wor­tung kön­nen Schulleitun­gen bei MS 365 wegen fehlen­der Fachken­nt­nisse und Analy­semöglichkeit­en de fac­to nicht übernehmen.

6. Medi­en- und Ver­braucher­bil­dung: Erziehung zur Mündigkeit

Medi­en- und Ver­braucherkom­pe­ten­zen sind in unser­er durch Dig­i­tal­isierung geprägten Gesellschaft zen­tral. Auf­gabe der Medi­en- und der Ver­braucher­bil­dung ist daher, Schü­lerin­nen und Schüler in ein­er sin­nvollen, reflek­tierten und ver­ant­wor­tungs­be­wussten Nutzung der Medi­en sowie ein­er über­legten Auswahl aus der Medi­en­vielfalt in Schule und All­t­ag zu stärken sowie zu befähi­gen, als kri­tis­che und mündi­ge Ver­braucherin­nen und Ver­brauch­er reflek­tiert Kon­sumentschei­dun­gen zu tre­f­fen (vgl. Bil­dungs­plan 2016). Für sein Gelin­gen hat der Erwerb dieser Kom­pe­ten­zen frei von wirtschaftlichen Inter­essen und unternehmen­su­n­ab­hängig zu erfol­gen (vgl. KMK 2013). Medi­ale Grund­lage zur Erfül­lung dieser Auf­gabe ist, dass an den Schulen ver­stärkt freie Lern- und Lehr­ma­te­ri­alien (Open Edu­ca­tion­al Resources und Freie Soft­ware) sowie ein her­stellerun­ab­hängiges Soft­ware-Ökosys­tem mit freien Dateifor­mat­en genutzt wer­den (vgl. Koali­tionsver­trag 2016 — 2021).

Die Ein­führung von MS 365 im Rah­men der Bil­dungsplat­tform würde bei ein­er Nutzung durch Schü­lerin­nen und Schüler zu ein­er frühen Prä­gung auf eine pro­pri­etäre Soft­ware führen. Dies würde sowohl dem Ziel ein­er bevorzugten Nutzung freier Lern- und Lehr­ma­te­ri­alien als auch dem Ziel ein­er auf die Erziehung zur Mündigkeit aus­gerichteten Medi­en- und Ver­braucher­bil­dung wider­sprechen.

7. Ökonomie

Wer in Baden-Würt­tem­berg Arbeit­splätze und Know-How sich­ern will, sollte vor­rangig heimis­che Unternehmen ein­binden und deren Pro­duk­te bei der Bil­dungsplat­tform ein­set­zen.

Unterze­ich­nende Ver­bände, Gew­erkschaften, Insti­tu­tio­nen und Organ­i­sa­tio­nen:

Lan­dess­chüler­beirat LSBR
Lan­desel­tern­beirat LEB

Arbeits­ge­mein­schaften gym­nasialer Eltern­beiräte ARGE Stuttgart, Karl­sruhe und Tübin­gen

Gew­erkschaft Erziehung und Wis­senschaft GEW BW
Philolo­gen­ver­band PhV BW
Realschullehrerver­band RLV BW

Deutsche Vere­ini­gung für poli­tis­che Bil­dung Baden-Würt­tem­berg DVPB BW Infor­matik­lehrerver­band ILLBW
Ver­band zur Förderung des MINT-Unter­richts MNU BW

Bünd­nis für humane Bil­dung
Chaos Com­put­er Club
Stuttgart CCCS
Dig­i­tal sou­veräne Schule 
e. V.
Digi­tal­courage e. V.
Gesellschaft für Bil­dung und Wis­sen e. V.
Gesellschaft für dig­i­tale Ethik e.
V.
Medi­enkom­pe­tenz Team e.V.
open­sourcelms.de

Ver­braucherzen­trale Baden-Würt­tem­berg e. V.

Stuttgart, 13. Jan­u­ar 2021

Gemein­same Posi­tio­nen zu Cloud­soft­ware an Schulen” (PDF)

Video-Aufze­ich­nung der Lan­despressekon­ferenz

Land­ing­page “Unsere dig­i­tale Schule” zum Posi­tion­spa­pi­er im Inter­net

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