Philologenverband zum geplanten Präsenzunterricht nach den Pfingstferien

12. Mai 2020

• Per­son­elle und räum­liche Ressourcen der Schulen lassen auch nach Pfin­g­sten keinen Präsen­zun­ter­richt für ganze Klassen und Kurse unter Beach­tung der Hygiene- und Abstand­sregeln zu.
• Ein „rol­lieren­des Sys­tem“ mit geteil­ten Klassen und abwech­sel­nden Präsenz- und Fer­nun­ter­richt­sphasen ist auch im besten Fall sehr inef­fizient.
• Die Schulen brauchen Freiräume, um ihre unter­schiedliche räum­liche und per­son­elle Sit­u­a­tion best­möglich nutzen zu kön­nen.

Stuttgart, 12. Mai 2020
Az. 1911 / 2020–19

„Die Vere­in­barung der Kul­tus­min­is­terkon­ferenz, nach den Pfin­gst­fe­rien gle­ichzeit­ig Präsen­zun­ter­richt für möglichst viele Klassen­stufen anzu­bi­eten, ist in der Coro­na-Son­der­si­t­u­a­tion für die Schulen nur extrem eingeschränkt umset­zbar“, warnt Ralf Scholl, der Vor­sitzende des Philolo­gen­ver­bands Baden-Würt­tem­berg (PhV BW). Die räum­lichen und per­son­ellen Ressourcen reichen an den Gym­nasien auf­grund der notwendi­gen Klassen­teilun­gen in zwei bzw. drei Grup­pen max­i­mal für zwei bis drei kom­plette Klassen­stufen gle­ichzeit­ig. „Dazu gle­ichzeit­iger Fer­nun­ter­richt, par­al­lele Not­be­treu­ung und Präsenzbeschu­lung von Kindern, die über Fer­nun­ter­richt nicht erre­icht wer­den, und par­al­lel Abiturko­r­rek­turen bzw. mündliche Abitur­prü­fun­gen? Das bringt das Sys­tem an seine Gren­zen und darüber hin­aus“, befürchtet der PhV-Lan­desvor­sitzende.

Die Fes­tle­gun­gen der Kul­tus­min­is­terkon­ferenz auf einen rol­lieren­den Unter­richt nach den Pfin­gst­fe­rien set­zen ein falsches Sig­nal: In den näch­sten fünf Wochen gilt es, die Kon­tak­tbeschränkun­gen so weit­ge­hend und rig­oros einzuhal­ten, dass die Neuansteck­un­gen in ganz Baden-Würt­tem­berg auf täglich weniger als ca. 20–30 sinken. Erst dann lässt sich jed­er einzelne Fall zurück­ver­fol­gen und die Ansteck­ungs­ket­ten kön­nen unter­brochen wer­den. Das ist die Voraus­set­zung für eine voll­ständi­ge Über­win­dung der Pan­demie und eine Rück­kehr zum „nor­malen Leben vor Coro­na“, die wir uns alle wün­schen. Gelingt dies nicht, beste­ht die Coro­na-Sit­u­a­tion dauer­haft weit­er fort und wir müssten ler­nen, langfristig mit mas­siv­en Ein­schränkun­gen zu leben: Ein „rol­lieren­der“ Schul- und Kinder­garten­be­trieb erlaubt keine sin­nvolle, dauer­hafte Beschu­lung bzw. Betreu­ung der Kinder und damit auch keine aus­re­ichende Ent­las­tung der Eltern.

„Ein rol­lieren­des Sys­tem mit abwech­sel­nden Präsenz- und Fern­lern-Phasen, in denen max­i­mal (abhängig von Klassen- und Raum­größe) eine Hälfte bzw. ein Drit­tel der Klasse im Präsenz‑, die andere Hälfte bzw. zwei Drit­tel im Fer­nun­ter­richt lernt, halte ich unter Ein­hal­tung der Pan­demie-Hygien­ebes­tim­mungen zwar für möglich“, so Ralf Scholl. „Aber selb­st ein solch­es Sys­tem mit geteil­ten Klassen ist nicht gle­ichzeit­ig für alle Klassen­stufen durch­führbar, son­dern schon auf­grund der begren­zen­den Räum­lichkeit­en nur für max­i­mal ein Drit­tel bis die Hälfte der Klassen gle­ichzeit­ig. Wie groß der Bil­dungser­folg sein wird, wenn Schüler (im opti­mistis­chsten Fall) nur jede dritte bis vierte Woche Präsen­zun­ter­richt haben, kann sich jed­er nach den Fern­lern-Erfahrun­gen der let­zten Wochen selb­st aus­malen!“, so der PhV-Vor­sitzende.

Außer­dem dürfe man nicht vergessen, dass die Schü­lerin­nen und Schüler der Kursstufe 1, die im kom­menden Jahr ins Abitur gehen, möglichst durchge­hend in allen Fäch­ern unter­richtet wer­den müssen, weil Unter­richt und Leis­tungs­fest-stel­lun­gen bere­its Teil ihrer Abitur-Qual­i­fika­tion sind. Da viele J1-Kurse wegen des Min­destab­stands geteilt wer­den müssen, schränkt das die Möglichkeit­en für die anderen Jahrgänge mas­siv ein. Die Schüler der Klassen­stufen 5 bis 10 kön­nen dann – auch mit hal­ber Klassen­stärke – besten­falls jede dritte Woche Präsen­zun­ter­richt haben, mehr geben die Räum­lichkeit­en an prak­tisch keinem Gym­na­si­um her. Für den einzel­nen Schüler würde das also darauf hin­aus­laufen, dass er im Laufe von drei Wochen eine Woche Präsenz- und zwei Wochen Fer­nun­ter­richt mit Auf­gaben hat. (Ein möglich­es Mod­ell dazu find­en Sie am Ende dieser Pressemit­teilung.)

„Den Schulleitun­gen und Lehrkräften darf nichts Unmöglich­es abver­langt wer­den: Nur was organ­isatorisch, räum­lich und per­son­ell vor Ort auch umset­zbar ist, kann über­haupt erwartet wer­den“, fordert der PhV BW-Vor­sitzende Ralf Scholl. Da man davon aus­ge­ht, dass ca. 25 % der Lehrkräfte zu den Risiko­grup­pen gehören, die nur für Fer­nun­ter­richt, Kor­rek­turen o.ä. einge­set­zt wer­den kön­nen, bleiben nur drei Vier­tel des Kol­legiums für die Präsenz im Schul­ge­bäude, die mit den vie­len zusät­zlichen Auf­gaben (und par­al­lel­er Fern­be­treu­ung der nicht in Präsenz unter­richteten Kinder) weit über das nor­male Maß hin­aus belastet wer­den. Aber auch Lehrkräfte haben ein Anrecht auf Arbeits- und Gesund­heitss­chutz! Ob Teilzeit- oder Vol­lzeit-Dep­u­tat, das große Engage­ment der Lehrkräfte für ihre Schü­lerin­nen und Schüler ist an allen Schulen, bei denen das Fern­ler­nen funk­tion­iert, unverkennbar. Aber keine Lehrkraft kann dauer­haft dop­pel­ten Ein­satz leis­ten.

Damit ist klar, dass die Schü­lerin­nen und Schüler in der Zeit nach Pfin­g­sten, wenn in größerem Umfang Präsen­zun­ter­richt stat­tfind­et, im Fer­nun­ter­richt nur noch reduziert betreut wer­den kön­nen. Eine (an manchen Schulen) fast tägliche Unter­stützung durch viele dig­i­tale Ange­bote (Videoun­ter­richt, Tele­fonate, indi­vidu­elle Antwort-Emails usw.) kann par­al­lel zum Präsen­zun­ter­richt nicht mehr im gle­ichen Umfang wie bish­er geleis­tet wer­den. Intel­li­gente Mod­elle (z.B. Part­ner-Schüler aus den A- und B‑Gruppen, die sich gegen­seit­ig helfen) wer­den notwendig wer­den.

Der Präsen­zun­ter­richt an den Gym­nasien sollte — wenn wirk­lich ein rol­lieren­des Sys­tem notwendig wird — nach den Pfin­gst­fe­rien schw­er­punk­t­mäßig nicht mit den Klassen­stufen 5 und 6, son­dern mit den Klassen­stufen 9 und 10 begin­nen, da hier ggf. ein Wech­sel auf andere Schu­larten eine frühere Zeug­nis­er­stel­lung erfordert. Danach kön­nten Teil­grup­pen der anderen Jahrgänge im Wech­sel hinzukom­men. Ein denkbares, best­möglich­es Beispiel sieht dann einen Präsen­zun­ter­richt alle drei Wochen vor, dürfte aber — platzbe­d­ingt — nur an sehr weni­gen Schulen auch so umset­zbar sein. Hier brauchen die Schulen Freiräume, um best­mögliche Lösun­gen auf­grund ihrer lokalen Bedin­gun­gen anbi­eten zu kön­nen.

Ein Opti­malmod­ell:

Woche 1: Klassen­stufen 10, 9, 8, 7 – jew­eils die erste Hälfte (A) der Klassen,
Woche 2: Klassen­stufen 10, 9, 6, 5 – Hälfte (B) in 10 und 9, Hälfte (A) in 6 und 5,
Woche 3: Klassen­stufen 8, 7, 6, 5 – zweite Hälfte (B) dieser Klassen

Von da an wieder­holt es sich.

Voraus­set­zung für dieses Mod­ell ist, dass große Klassen (von z.T. über 30 Schülern) nicht gedrit­telt wer­den müssen, um aus­re­ichen­den Abstand in den Klassen­z­im­mern zu gewährleis­ten. Ein Drit­teln ver­schieden­er Klassen wird an vie­len Schulen aber nötig wer­den.

* * *

An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den über 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt mit rund 9.000 im Ver­band organ­isierten Mit­gliedern die Inter­essen der Lehrerin­nen und Lehrer an den 462 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der ca. 30.000 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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