Philologenverband Baden-Württemberg mahnt: An die Schülerinnen und Schüler denken! Den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen auch unter Pandemiebedingungen sichern!

23. Oktober 2020

Pressemit­teilung des Philolo­gen­ver­bands Baden-Würt­tem­berg (PhV BW) zu den Arbeits­be­din­gun­gen für Lehrkräfte in der Pan­demie

  • Lehrkräfte und Schulleitun­gen brauchen drin­gend Ent­las­tung
  • Mehrar­beit durch Fer­nun­ter­richt muss anerkan­nt und berück­sichtigt wer­den
  • PhV fordert 7‑Punk­te-Maß­nah­men­paket

Schon vor dem Beginn der Coro­na-Pan­demie wurde die Erfül­lung des Bil­dungs- und Erziehungsauf­trags der Schule durch belas­tende Arbeits­be­din­gun­gen erschw­ert. Dies zeigten die baden-würt­tem­ber­gis­chen Ergeb­nisse der bun­desweit­en Studie “Lehrerar­beit im Wan­del” (LaiW) des Deutschen Philolo­gen­ver­bands (DPhV). Der PhV BW hat­te die Ergeb­nisse der Studie im März 2020 vorgestellt und ein Sofort­pro­gramm zur Ent­las­tung der Schulen gefordert, siehe https://www.phv-bw.de/lehrkraefte-brauchen-entlastung/. Diese Sit­u­a­tion hat sich mit den enor­men Mehrbe­las­tun­gen in der Pan­demie-Sit­u­a­tion durch den Fer­nun­ter­richt und eine Vervielfachung des Organ­i­sa­tions- und Koop­er­a­tions­be­darfs weit­er gefährlich zuge­spitzt. Ent­las­tungs­maß­nah­men sind drin­gen­der erforder­lich denn je!

Unhalt­bare Arbeits­be­din­gun­gen für Lehrkräfte

Lehrkräfte sind in der Pan­demie-Sit­u­a­tion durch den par­al­lel oder anstelle des Präsen­zun­ter­richts erforder­lichen dig­i­tal­en Fer­nun­ter­richt ver­mehrt belastet: Sie müssen herkömm­liche Unter­richts­ma­te­ri­alien und Unter­richt­skonzepte dem dig­i­tal­en For­mat anpassen, sich um Urhe­ber­rechts­fra­gen, Videokon­feren­ztech­nik, Fer­nun­ter­stützung der Schüler und vieles mehr küm­mern.

Ins­beson­dere wenn Fer­nun­ter­richt par­al­lel – also zusät­zlich zum Präsen­zun­ter­richt – erwartet wird, sind die Anforderun­gen der vom Kul­tus­min­is­teri­um (KM) ver­bre­it­eten „Grund­sätze für den Fer­nun­ter­richt im Schul­jahr 2020/2021“ de fac­to nicht zu erfüllen. Mehrar­beit durch den Fer­nun­ter­richt muss als solche anerkan­nt und durch Anrech­nungsstun­den im Fol­ge­jahr, also eine soge­nan­nte „Bug­welle“, aus­geglichen wer­den. Alter­na­tiv muss zumin­d­est eine Vergü­tung im Sinne der Mehrar­beit­sun­ter­richtsverord­nung erfol­gen. Es ist nicht nachvol­lziehbar, warum bish­er der Hausun­ter­richt für langfristig oder chro­nisch erkrank­te Schüler vergütet wurde, jet­zt aber der für abwe­sende Schüler zusät­zlich erforder­liche dig­i­tale Unter­richt von den Lehrkräften ein­fach on top erwartet wird.

In diesem Zusam­men­hang ist es vol­lkom­men unver­ständlich, warum die Schulpflicht im Sinne der Teil­nahme am Präsen­zun­ter­richt in Baden-Würt­tem­berg aus­ge­set­zt wurde und Eltern bzw. Schüler nach Belieben entschei­den kön­nen, ob die Schüler am Präsen­zun­ter­richt teil­nehmen oder nicht. So etwas gibt es in keinem anderen Bun­des­land. Hier sollte – wie auch für Lehrkräfte der Coro­na-Risiko­gruppe – eine Attestpflicht einge­führt wer­den. Dass nur indi­vidu­elle Atteste von ein­schlägi­gen Fachärzten anerkan­nt wer­den kön­nen, ist klar.

Tutoren­sys­tem des KM im gym­nasialen Bere­ich nicht umset­zbar

Die vom KM geplante schulüber­greifende Betreu­ung von Schülern, die nicht am Präsen­zun­ter­richt teil­nehmen, durch von Präsen­zun­ter­richt befre­ite Lehrkräfte der Risiko­gruppe find­et de fac­to nicht statt und kann im gym­nasialen Bere­ich auch gar nicht stat­tfind­en, weil dem das Fächer­prinzip ent­ge­gen­ste­ht und inzwis­chen auch bei weit­em nicht mehr aus­re­ichend freigestellte Lehrkräfte zur Ver­fü­gung ste­hen: Die aller­meis­ten Lehrkräfte sind längst auf frei­williger Basis trotz vorhan­den­er medi­zinis­ch­er Atteste in den Präsen­zun­ter­richt zurück­gekehrt. Die weni­gen, die von zu Hause unter­richt­en, sind in der Regel schon in Höhe ihres Dep­u­tats in den Unter­richt einge­plant, weil sie nicht erset­zt wer­den. Es gibt im Gym­nasial­bere­ich keine fak­tisch „unterbeschäftigten“ Lehrkräfte zu Hause!

Zusatzarbeit durch Fer­nun­ter­richt muss anerkan­nt und aus­geglichen wer­den

Ein­er vollbeschäftigten Lehrkraft entste­ht durch die regelmäßige par­al­lele Bere­it­stel­lung von Unter­richts­ma­te­ri­alien, Fotos von Tafe­lauf­schrieben, zusät­zliche Hin­weise zur dig­i­tal­en Bear­beitung und vor allem eine indi­vidu­elle Betreu­ung von Schülern im Fer­nun­ter­richt ein Mehraufwand von min­destens zwei Unter­richtswochen­stun­den. Dieser Mehraufwand muss im Fol­ge­jahr durch eine entsprechende Dien­st­be­freiung aus­geglichen und bis dahin als Bug­welle anerkan­nt wer­den.

Aber auch der Fer­nun­ter­richt, wenn ganze Klassen in Quar­an­täne geschickt oder Schulen geschlossen wer­den, ist mit erhe­blichem Mehraufwand ver­bun­den: Es müssen die tech­nis­chen Hür­den der Schüler über­wun­den, Unter­richts­gänge umge­plant, eine Vielzahl von Tele­fonat­en geführt, Anwe­sen­heit­en umständlich fest­gestellt, Unter­richts­geschehen ver­schriftlicht und Lern­plat­tfor­men mit Mate­r­i­al bestückt wer­den. Vor allem aber müssen unzäh­lige dig­i­tale Schüler­beiträge kor­rigiert wer­den, wenn die Schüler eine aus­re­ichende Rück­mel­dung erhal­ten sollen.

Am drin­gend­sten geboten ist eine Min­imierung dieser gar nicht in vollem Umfang leist­baren Mehrbe­las­tung:

  • durch eine Auf­s­tock­ung der Vertre­tungsre­serve,
  • durch die Ein­stel­lung von Stu­den­ten für päd­a­gogis­che Auf­sichts- und Betreu­ungstätigkeit­en sowohl im Präsenz- wie im Fer­nun­ter­richt sowie
  • durch die Schaf­fung von zusät­zlichen Lehrerstellen mit dem Ziel ein­er mas­siv­en Verkleinerung der Klas­sen­größen.

Antworten auf zahlre­iche ungelöste Fra­gen müssen gefun­den wer­den

Um über­haupt dig­i­tal­en Fer­nun­ter­richt durch­führen zu kön­nen haben sich viele Lehrkräfte Note­book, Tablet, Web­cam oder Head­set angeschafft. Die Kosten für diese Geräte soll­ten auf Antrag unbürokratisch vom Dien­s­ther­rn erstat­tet wer­den. Abge­se­hen davon sind viele Fra­gen des Daten­schutzes und des Schutzes der Per­sön­lichkeit­srechte von Schülern und Lehrern im Rah­men des dig­i­tal­en Fer­nun­ter­richts, ins­beson­dere was den Ein­satz von Videokon­feren­zen und auch das „Stream­ing“, d. h. die dig­i­tale Über­tra­gung vom Unter­richts­geschehen, ange­ht, vol­lkom­men ungek­lärt. Der PhV BW weist in diesem Zusam­men­hang auch auf die Daten­schutzprob­lematik von im Unter­richt einge­set­zten Cloud-Anwen­dun­gen hin.

Hinzu kommt für die Lehrkräfte die schwierige Arbeits- und Gesund­heitss­chutz-Sit­u­a­tion an den Schulen: Die Regelun­gen bezüglich der Quar­an­täne von Schülern und Lehrkräften sind je nach Gesund­heit­samt sehr unter­schiedlich.

Für Lehrkräfte mit vor­be­lasteten Ange­höri­gen im eige­nen Haushalt (chro­nisch kranke Kinder, pflegebedürftige Ange­hörige) muss eine ein­fache und unbürokratis­che Möglichkeit der Befreiung vom Präsen­zun­ter­richt ein­gerichtet wer­den, die – im Gegen­satz zur bish­eri­gen Prax­is – auch großzügig gewährt wird.

Unhalt­bar ist die Belas­tungssi­t­u­a­tion der Lehrkräfte an Schulen, die ein ver­set­ztes Pausen­sys­tem einge­führt haben, bei dem die Lehrkräfte ihre Schüler in der Pause beauf­sichti­gen müssen, sodass die Lehrer selb­st keine Erhol­ungspause zwis­chen den Unter­richtsstun­den mehr haben.

Schullei­t­erin­nen, Schulleit­er und Schulleitung­steams brauchen Ent­las­tung!

Die Schulleitun­gen und Schulleitung­steams hat­ten seit März 2020 ständig wech­sel­nde Vor­gaben äußerst kurzfristig umzuset­zen.

Zwei Beispiele: Kurz vor den Pfin­gst­fe­rien 2020 wur­den die neuen Vor­gaben für den nach Pfin­g­sten begin­nen­den Präsen­zun­ter­richt im „rol­lieren­den Sys­tem“ vom KM bekan­nt gegeben. Folge: In den Pfin­gst­fe­rien mussten an den Schulen neue Stun­den­pläne erstellt wer­den. Am Tag nach(!) den Pfin­gst­fe­rien wurde den Schulen eine Neuregelung der Präsen­zpflicht von Lehrkräften mit einem erhöht­en Risiko für einen schw­er­wiegen­den Covid-19-Ver­lauf mit­geteilt, sodass die ger­ade erstellte Pla­nung Maku­latur war.

Am ersten Schul­t­ag nach den Som­mer­fe­rien wur­den den Schulen Grund­sätze für den Fer­nun­ter­richt mit­geteilt, die die in den Ferien erfol­gten Pla­nun­gen über den Haufen war­fen.

Immer mehr Schulleitun­gen sind nicht nur bis zur Belas­tungs­gren­ze, son­dern weit darüber hin­aus gefordert, sodass sie Über­las­tungsanzeigen an die Regierung­sprä­si­di­en stellen und über die Nieder­legung ihres Amtes nach­denken. Der Dien­s­therr muss diese Alar­mze­ichen ernst nehmen und jet­zt rasch han­deln!

Der PhV fordert, dass die Schulleitun­gen durch einen vorüberge­hen­den Verzicht auf die Min­destun­ter­richtsverpflich­tung von Schulleit­ern und die Schulleitung­steams durch die rasche Auf­s­tock­ung der „Leitungszeit“-Anrechnungen und die Schaf­fung zusät­zlich­er Abteilungsleit­er­stellen von der Lan­desregierung unter­stützt wer­den.

Das 7‑Punk­te-Maß­nah­men­paket des PhV:

  1. Absenkung des Klassen­teil­ers: Sofort nach den Herb­st­fe­rien Über­gang ins rol­lierende Sys­tem mit hal­ben Klassen, um abstand­skon­form unter­richt­en zu kön­nen
  1. Wirk­samer Arbeits- und Gesund­heitss­chutz — ger­ade auch in Hin­blick auf Coro­na: Raum­luftreiniger statt Place­bo-Fort­bil­dungsange­bote
  1. Absenkung der Unter­richtsverpflich­tung der Lehrkräfte
  1. Ent­las­tung der Schulleitun­gen als Aus­gle­ich für die mas­sive pan­demiebe­d­ingte organ­isatorische Mehrar­beit
  1. Auf­s­tock­ung der Anrech­nungsstun­den für beson­dere Auf­gaben der Schulen, ins­beson­dere für die Net­zw­erk­ber­ater
  1. Anerken­nung und Hon­orierung auch der pan­demiebe­d­ingten Mehrar­beit der Lehrkräfte
  2. Ent­las­tung von unter­richts­fer­nen Auf­gaben und Konzen­tra­tion auf das Kerngeschäft, den Unter­richt

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An den Gym­nasien des Lan­des Baden-Würt­tem­berg wer­den über 300.000 Schü­lerin­nen und Schüler unter­richtet. Der Philolo­gen­ver­band Baden-Würt­tem­berg e.V. (PhV BW) ver­tritt mit rund 9.000 im Ver­band organ­isierten Mit­gliedern die Inter­essen der Lehrerin­nen und Lehrer an den 462 öffentlichen und pri­vat­en Gym­nasien des Lan­des.

Im gym­nasialen Bere­ich hat der Philolo­gen­ver­band BW sowohl im Haupt­per­son­al­rat beim Kul­tus­min­is­teri­um als auch in allen vier Bezirksper­son­al­räten bei den Regierung­sprä­si­di­en die Mehrheit und set­zt sich dort für die Inter­essen der ca. 30.000 Lehrkräfte an den Gym­nasien des Lan­des ein.

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