PhV BW zu den PISA-Ergebnissen
5. Dezember 2023
• Schlechtestes deutsches PISA-Ergebnis aller Zeiten
• Leistungsrückgang mittlerweile nicht mehr linear, sondern beschleunigt
• Corona-Lücken konnten offenbar nicht aufgeholt werden
• Deutsches Augenmerk sollte sich auf Estland und die Schweiz richten, die beiden erfolgreichsten europäischen Länder in Mathematik und Naturwissenschaften
• Reaktion des Kultusministeriums auf die Studienergebnisse „Wir treiben die Digitalisierung voran“ ist nicht zielführend für bessere Schulleistungen
• Schulsystem in Deutschland für die massive Zuwanderung weder gerüstet noch auf die Integration von Zuwanderer-Kindern hin ausgelegt
• Verbindliche vorschulische Bildung (z.B. verpflichtendes Kindergartenjahr und Sprachunterricht für Vorschulkinder) muss angegangen werden
• Unterricht und Lernen müssen wieder ins Zentrum der schulischen Aufmerksamkeit rücken
• In die Bildung muss massiv investiert werden — auch um die besten Köpfe als Lehrkräfte zu gewinnen!
Der PhV-Landesvorsitzende Ralf Scholl kommentiert das katastrophale PISA-Abschneiden Deutschlands: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen, der größer ist als beim PISA-Schock 2003. Natürlich ist jetzt erst einmal eine genaue Analyse der gesamten Studiendaten notwendig. Aber eines sieht man sehr schnell: Hier sind verschiedene Faktoren zusammengekommen: Corona, Lehrkräftemangel und eine starke Zuwanderung.“
Die reflexhafte Reaktion aus dem Kultusministerium „Wir treiben die Digitalisierung voran“ ist völlig ungenügend. Da kann man nur sagen: „Thema verfehlt!“ Zumal für ein Vorantreiben der Digitalisierung an den Schulen eine Einigung zwischen Land und Kommunen über deren Finanzierung die notwendige Voraussetzung ist. Und die liegt seit über einem Jahr auf Eis.
Eine erste Analyse der PISA-Daten im Detail zeigt: Unser Schulsystem macht es möglich, dass selbst Zuwanderer-Kinder der ersten Generation (also selbst zugewanderte Kinder) im Alter von 15 Jahren das höchste PISA-Testniveau VI erreichen können. Bloß erreichen das mit nur 0,2% aller Zuwanderer-Kinder der ersten Generation viel zu wenige! (Siehe Abbildung 7.2web hier und im Anhang der PISA-Studie!)
Eines der Hauptprobleme, auf das die PISA-Daten hinweisen, ist der mangelnde schulische Erfolg von viel zu vielen Kindern mit Zuwanderungshintergrund: Diese Daten sind erschreckend, siehe Tabelle 7.5web!
In allen drei getesteten Bereichen – Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – liegt bei Zuwandererkindern der ersten Generation der Lernrückstand im Durchschnitt bei zwei Lernjahren, bei Kindern der zweiten Generation (Eltern zugewandert) bei knapp einem Jahr. Ca. 50 Punkte weniger bedeuten einen Lernrückstand von einem Jahr.
Bei Kindern mit Zuwanderungshintergrund überlagern sich – ungünstiger Weise – zudem sehr häufig sozioökonomische und sprachliche Hindernisse: Bei 88% der selbst zugewanderten Kinder wird zu Hause nicht Deutsch gesprochen, und 68% kommen aus sozioökonomisch schwachen Elternhäusern.
Maßnahmen, um alle sozioökonomisch schlechter gestellten Kinder (auch die deutschen!) im Kindergartenalter verbindlich vorschulisch zu bilden, müssen umgehend angegangen werden, damit alle diese Kinder nicht mit einem massiven Sprach- und Wissens-Rückstand in die Schule starten. Solch ein Rückstand ist in der Grundschule nämlich kaum aufzuholen.
Die Kinder und Jugendlichen müssen in der Schule wieder konzentriert lernen können und tatsächlich auch lernen. Genau dazu müssen sie von ihren Lehrkräften und ihren Eltern angehalten werden. Und damit gilt auch: Der Unterricht und das Lernen sind das, was zentral im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit an allen Schulen stehen muss. Klare und anspruchsvolle Maßstäbe sind dabei wesentlich für die Schule und bereiten die Schüler erfolgreich auf ihr späteres Leben vor.
Unser Augenmerk sollte sich gerade nach diesen PISA-Ergebnissen verstärkt auf unser direktes Nachbarland, die Schweiz, und auf Estland richten. Das sind die beiden europäischen Staaten, die sich unmittelbar hinter China, Japan und Korea an der Spitze aller Länder platzieren konnten – noch vor Kanada, wohin die baden-württembergischen Bildungspolitiker dieses Jahr gepilgert sind, um sich schulpolitische Anregungen zu holen.
Das katastrophale PISA-Ergebnis macht eines klar: Jetzt ist der Zeitpunkt, um endlich wirklich sinnvolle Investitionen in den Bildungsbereich zu tätigen. Nicht nur für eine Förderung der schwachen, sondern auch für eine Förderung der guten und besten Schüler: Für diese wäre G9 mit G8-Schnellläuferzügen die Maßnahme, welche uns deutlich mehr Spitzenleistungen und gute Leistungen bringen kann.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden knapp 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der ca. 26.500 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.