Durch Bildung von Gemeinschaftsschulen wird das Schulsystem nicht besser
15. März 2007
15.3.2007 / 1811 — 11–07
Philologenverband zum Antrag der SPD-Fraktion an den Landtag Baden-Württemberg vom 6. März 2007:
„Die Schulstruktur in Baden-Württemberg öffnen und flexibler machen“
»Durch Bildung von Gemeinschaftsschulen wird das Schulsystem nicht besser«
„Durch die Bildung von Gemeinschaftsschulen, wie sie die SPD in ihrem Antrag an den Landtag fordert, würde das Bildungssystem in Baden-Württemberg nicht nachhaltig verbessert, sondern insgesamt deutlich schlechter werden“, so der Landesvorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg (PhV BW), Karl-Heinz Wurster, zu den Vorstellungen der SPD.
Finnische Schulverhältnisse und Gemeinschaftsschulmodelle sind nach Auffassung des Philologenverbandes nicht auf Deutschland übertragbar. So geht aus der finnischen PISA-Studie hervor, dass in diesem skandinavischen Land die Ergebnisse in kleinen Schulen auf dem Lande deutlich besser waren als in Schulen der Ballungsräume. Angesichts sinkender Schülerzahlen in den Hauptschulen sollte statt an eine Schließung besser an die durch den Schülerrückgang sich eröffnenden Möglichkeiten einer besseren und individuelleren Förderung von Schülern in kleineren Klassen gedacht werden, schlägt der Philologenverband vor. Wurster: „Wir befürworten eine Entwicklung der Hauptschule in Richtung einer ‚Berufsförderschule’, die durchlässig ist und durch Qualifizierungsangebote den Wechsel zwischen den Schularten ermöglicht. Jeder Schüler muss die Möglichkeit auf optimale Förderung seines Begabungspotenzials erhalten. Das setzt aber auch Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft voraus.“
Wir weisen im Zusammenhang mit der SPD-Forderung nach einer Gemeinschaftsschule darauf hin, dass die 1998 von Baumann und Köller in der Zeitschrift „Pädagogik“ veröffentlichten Vergleiche der Leistungsentwicklung von Haupt‑, Real‑, Gesamtschülern und Gymnasiasten ergab, dass beispielsweise Realschüler gegenüber gleich begabten Gesamtschülern am Ende des zehnten Jahrgangs einer Klasse einen Wissensvorsprung von etwa zwei Schuljahren hatten. „Es sollte seitens der Politik nun die Chance des Schülerrückgangs dafür genutzt werden, die Klassengrößen unter Beibehaltung der Lehrerressourcen deutlich zu verringern, um Schüler optimal zu fördern.“ Durch die Abschaffung der Hauptschulen verstärkt sich nach Auffassung des Philologenverbandes der Druck auf die anderen Schularten. Die Absenkung des gymnasialen Anspruchs und Entwertung des Abiturs wären weitere zwangsläufige Folgen. Befürchtet wird eine Vergrößerung der sozialen Schere, weil Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Privatschulen wären letztlich die Gewinner einer Abschaffung des gegliederten Schulwesens. „Das wollen wir nicht, weil wir a l l e n Kindern gleiche Bildungschancen einräumen wollen, die nicht vom Geld der Eltern abhängig sein dürfen“, so Wurster. „Auch ein Hinausschieben einer an den Begabungen und am Leistungsvermögen sich orientierenden Verteilung der Schüler auf die Schularten durch eine Verlängerung der Grundschulzeit wäre keine Lösung und würde den durch Frühförderung gerade geweckten Bildungseifer früh geförderter Schüler wieder bremsen.“
Was wäre durch eine Gemeinschaftsschule verbessert, wenn dadurch letztlich nur die Klassengrößen weiter zunehmen, weil mehr Lehrer derzeit nicht eingestellt werden? , fragt der PhV. „Schulpolitische Baustellen gibt es derzeit im Lande genug; ihre Zahl muss nicht noch durch massive Eingriffe in die Schulstruktur vergrößert werden. Sinnvoll wäre es, die Rahmenbedingungen der bestehenden Schulsysteme zu verbessern und diese weitsichtig weiter zu entwickeln. Nicht die Abschaffung, sondern die Förderung und Weiterentwicklung bewährter Schularten und mehr Anerkennung des schwieriger gewordenen Lehrerberufs bringen unsere Schulen weiter“, so der PhV-Landesvorsitzende Wurster abschließend mit dem Hinweis: „Mehr Abiturienten sind keine Garantie für eine bessere Qualität der Schulabgänger.“
Anmerkung:
Schon jetzt sind die landesweit durchschnittlichen Klassengrößen an den Gymnasien mit 28,1 Schülern am höchsten (Hauptschulen: 20,5), so die Angaben für das Schuljahr 2005/06. Und während die vorläufigen Schülerzahlen bei den Hauptschulen um 5,4 Prozent zurückgingen, nahmen sie bei den Gymnasien im laufenden Schuljahr 2006/07 landesweit um 1,4 Prozent zu (also um knapp 4 600 Schüler).