Gleiche Bildungschancen für alle, aber nicht durch ungerechte »Gleichmacherei«
21. März 2007
21.3.2007 / 1811 — 12–07
Philologenverband Baden-Württemberg bezieht Position zum Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Bildung, Vernor Muñoz:
Gleiche Bildungschancen für alle, aber nicht durch ungerechte »Gleichmacherei«
„Jedes Kind hat einen Anspruch auf umfassende Bildung, die sich an seinem Begabungs- und Leistungsprofil orientiert. Deshalb fordern wir gleiche Bildungschancen für jedes Kind, warnen aber vor riskanten Versuchen einer aus ideologischen Quellen gespeisten, höchst ungerechten ‚Gleichmacherei’, bei der die Qualität der Bildung letztendlich Schaden nimmt; außerdem weisen wir Forderungen nach einer Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems zurück“, so der Landesvorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg, Karl-Heinz Wurster, zum Bericht von UN-Menschenrechtskommissar Vernor Muñoz, den er nach den nur wenige Tage dauernden Schulbesuchen in Berlin, Potsdam, Bonn und München sowie Gesprächen verschiedener Organisationen heute (21. März 2007) der Öffentlichkeit vorstellt, in dem beispielsweise das berufliche Schulwesen ausgeklammert blieb.
Wenn der UN-Sonderberichterstatter Muñoz nach einer kurzen Stippvisite in wenigen deutschen Schulen und noch nicht einmal in Schulen aller Bundesländer pauschal Kritik am deutschen Bildungssystem und seiner Mehrgliedrigkeit übe, im deutschen Bildungssystem eine fehlende Chancengleichheit anmahne und die inzwischen zum Teil in Kritik geratene Pisa-Studie für sein Urteil heranziehe, dann seien Zweifel am Aussagewert seines Berichts angebracht. (Anmerkung: keine Schule in Baden-Württemberg und lediglich drei Schulen wurden in Bayern besucht)
Seine Forderung nach mehr Chancengleichheit kann aus der Sicht des Philologenverbandes nicht bedeuten, das Bildungs- und Leistungsniveau vorrangig am Schwächsten und das Tempo grundsätzlich am Langsamsten auszurichten. Das wäre die „unsinnige Folge“ einer „Schule für alle“. PhV-Chef Wurster: „Was wir brauchen, ist eine frühe schulartspezifische, begabungs- und leistungsgerechte Differenzierung, ein professionelles Auswahlverfahren beim Übergang von einer vierjährigen Grundschule auf die weiterführenden Schulen und eine bessere Verzahnung schulartspezifischer Bildungspläne, um die Durchlässigkeit zwischen den Schularten zu verbessern. „Nicht das System, sondern die Rahmenbedingungen und Inhalte des deutschen Bildungssystems sind in einigen Bereichen nach Auffassung des Philologenverbands Baden-Württemberg korrekturbedürftig“, so Wurster.
Der Philologenverband weist im Übrigen darauf hin, dass Prof. Dr. Kurt A. Heller (München) in Untersuchungen Folgendes festgestellt hat: „Eine Verlängerung der vierjährigen Grundschule würde keine erkennbaren Vorteile, wohl aber mit Sicherheit Nachteile für viele Grundschüler mit sich bringen. Diese betreffen nicht nur Leistungsaspekte, sondern tangieren die gesamte Persönlichkeitsentwicklung und damit letztendlich die Zukunftschancen der Jugendlichen.“ Heller fordert schließlich eine Verstärkung und nicht eine Reduzierung unterrichtlicher und schulischer Differenzierungsmaßnahmen. Kritisch gesehen werden vom PhV auch die Ergebnisse der jüngsten Studie des Münchener ifo-Instituts. So könnten das Berliner und Bremer Schulsystem, die zum Beispiel bei Pisa schlecht abschnitten, nicht als Vorbilder für eine in ganz Deutschland zu praktizierende Bildungspolitik betrachtet werden.
„Um ungleiche Bildungsvoraussetzungen und in Folge mögliche Chancenungerechtigkeiten zu verhindern, müssen Kinder durch Erhöhung der Bildungsausgaben früh und differenziert gefördert werden, und zwar am besten im mehrgliedrigen Schulsystem“, so Wurster abschließend mit dem Hinweis auf die dringende Notwendigkeit einer früh einsetzenden Förderung von Kindern aus bildungsfernen Familien und Familien mit Migrationshintergrund.
(Anmerkung: Vernor Muñoz besuchte lediglich Schulen in Berlin, Potsdam, Bonn und München und führte Gespräche mit verschiedenen Organisationen. Auf dieser Basis und auf der Grundlage von Bildungsstudien basiert sein Bericht; in Bayern wurden nur drei Schulen besucht)