Rückbesinnung auf klare Leistungs- und Qualitätsorientierung am Gymnasium

14. Februar 2008

14.02.2008 / 1811 — 17–08

Philolo­gen­ver­bände der fünf Südlän­der fordern:

Rückbesin­nung auf klare Leis­tungs- und Qual­ität­sori­en­tierung am Gym­na­si­um

  • Gegen Vere­in­barun­gen auf kle­in­stem gemein­samen Nen­ner
  • Schluss mit der Poli­tik des Stre­ichens und Kürzens am Gym­na­si­um

Anlässlich der heute auf Ini­tia­tive Bay­erns begin­nen­den Ver­hand­lun­gen der Bun­deslän­der Bay­ern, Baden-Würt­tem­berg, Thürin­gen, Sach­sen und Sach­sen-Anhalt haben die fünf Vor­sitzen­den der Philolo­gen­ver­bände dieser Bun­deslän­der Max Schmidt (Bay­ern), Karl-Heinz Wurster (Baden-Würt­tem­berg), Frank Haub­itz (Sach­sen), Dr. Jür­gen Mannke (Sach­sen-Anhalt) und Ralf-Ger­hard Köthe (Thürin­gen) die klare Rückbesin­nung zu ein­er leis­tungs- und qual­ität­sori­en­tierten Poli­tik für die Gym­nasien gefordert und vor einem faulen Kom­pro­miss nach dem Prinzip des kle­in­sten gemein­samen Nen­ners gewarnt. Hin­sichtlich des Zieles eines gemein­samen “Süd­abiturs” äußerten die Vor­sitzen­den der fünf Lan­desver­bände deut­liche Skep­sis. Ein­heitliche Abitu­rauf­gaben seien allen­falls dann sin­nvoll, wenn sichergestellt wer­den könne, dass sie in jedem Bun­des­land nach densel­ben Maßstäben bew­ertet wer­den kön­nten.

Aktuelle Beschlüsse zur Absenkung der Stun­den­zahl am achtjähri­gen Gym­na­si­um, wie sie ger­ade erst von den Bun­deslän­dern mit dem jüng­sten KMK-Beschluss offiziell ermöglicht wur­den, und die prompte Umset­zung durch erste Lan­desregierun­gen zeigten aber, dass jede Neu­for­mulierung län­derüber­greifend­er Min­destanforderun­gen in der Prax­is von Lan­desregierun­gen nur allzu gern als willkommene Ein­ladung miss­braucht werde, um qual­i­ta­tive und quan­ti­ta­tive Stan­dards am Gym­na­si­um zu senken. Vor diesem Hin­ter­grund falle es schw­er zu glauben, dass nun über eine neue län­derüber­greifende Vere­in­barung zu gemein­samen Abitu­rauf­gaben das gym­nasiale Niveau gesichert oder gar gesteigert wer­den könne. Wichtiger sei es zunächst ein­mal, sich län­derüber­greifend auf gemein­same Stan­dards für das Gym­na­si­um zu eini­gen. Gemein­same Abitu­rauf­gaben kön­nten allen­falls am Ende eines län­geren Prozess­es ste­hen, in dem jedes Bun­des­land seine spez­i­fis­chen Prob­leme mit der ger­ade in den let­zten Jahren aus ver­schiede­nen Grün­den zurück­ge­hen­den Qual­ität des gym­nasialen Bil­dungs­ganges aufgear­beit­et hat.

Gym­na­si­um immer häu­figer Opfer ökonomis­ch­er und ide­ol­o­gis­ch­er Zielset­zun­gen

Die Vertreter der Gym­nasiallehrerschaft beobacht­en mit großer Sorge, dass gle­ich­sam in einem Kniefall vor schein­bar objek­tiv­en ökonomis­chen und arbeits­mark­t­poli­tis­chen Notwendigkeit­en, aus vorder­gründi­gen wahl- und macht­poli­tis­chen Oppor­tu­nitäts­grün­den oder schlichtweg als finanzpoli­tis­che Spar­maß­nahme in den ver­gan­genen Jahren die Rah­menbe­din­gun­gen und das Niveau an den deutschen Gym­nasien zum Schaden der Schü­lerin­nen und Schüler immer weit­er ver­schlechtert wur­den und wer­den. Als beson­ders empören­des Beispiel beze­ich­neten die Vor­sitzen­den die derzeit­i­gen Koali­tionsver­hand­lun­gen in Ham­burg, wo die CDU unter Bruch ihres Wahlver­sprechens dabei sei, das Gym­na­si­um auf dem Altar des Machter­halts zu opfern. Doch Ham­burg sei kein Einzelfall, son­dern nur ein beson­ders augen­fäl­liges Beispiel dafür, dass es die Poli­tik vielerorts zuge­lassen und daran mit­gewirkt habe, dass die Schu­lart Gym­na­si­um Opfer und Spiel­ball wirtschaftlichen und poli­tis­chen Oppor­tu­nitäts­denkens und ide­ol­o­gis­ch­er Utopi­en gewor­den sei. In ein­er unheil­vollen Allianz set­zten Wirtschaftsvertreter und Vertreter ein­er Ide­olo­gie des Gle­ich­macher­tums derzeit alles daran, das Gym­na­si­um als Bil­dungsanstalt Hum­boldtsch­er Prä­gung zu schleifen, ihren Zielset­zun­gen zu unter­w­er­fen oder gle­ich ganz abzuschaf­fen.

Die derzeit über­all in West­deutsch­land ohne die Bere­it­stel­lung der dafür erforder­lichen per­son­ellen und materiellen Ressourcen und ohne wirk­lich überzeu­gende Konzepte betriebene Verkürzung des Gym­na­si­ums, die — teil­weise gle­ichzeit­ig — forcierte Erhöhung der Abi­turi­en­ten­quoten und die achselzuck­end hin­genommene Per­son­alk­nap­pheit nan­nten die Vor­sitzen­den der Lan­desver­bände als weit­ere Belege dafür, dass für die poli­tisch Ver­ant­wortlichen der Qual­ität­saspekt nicht mehr die alles entschei­dende Rolle spiele. Ähn­lich ver­nach­läs­sigt wie die Schu­lart sieht sich die gym­nasiale Lehrerschaft, die doch eigentlich der Schlüs­sel zum Erfolg der Schu­lart sei: Gehalt­skürzun­gen, Arbeit­szeit­er­höhun­gen, die Über­frach­tung mit immer weit­eren Auf­gaben als Folge poli­tisch gewün­schter größer­er Autonomie und Ver­ant­wortlichkeit der einzel­nen Schulen, per­son­elle Lück­en und über­volle Klassen, aber auch eine Her­ab­set­zung des fach­lichen Niveaus für das Lehramtsstudi­um im Gefolge des Bologna-Prozess­es und die Verkürzung des Ref­er­en­dari­ats zeigten, dass in vie­len Bun­deslän­dern Dien­s­ther­rn finanzpoli­tis­che Einspar­möglichkeit­en über ihre Für­sorgepflicht für ihr Per­son­al und über fach­liche und päd­a­gogis­che Zielset­zun­gen zum Wohle der Schüler­schaft gin­gen.

Der Vor­sitzende des Philolo­gen­ver­ban­des von Sach­sen-Anhalt, Dr. Jür­gen Mannke, hob her­vor, dass sein Bun­des­land mit­tler­weile ver­suche, durch die mit­tlere Schu­len­twick­lungs­pla­nung und die Senkung der Klassen­fre­quen­zen zu ein­er Verbesserung der Sit­u­a­tion zu gelan­gen.

Philolo­gen­ver­bände fordern Rückbesin­nung auf tra­di­tionelle Stärken des Gym­na­si­ums

Demge­genüber ver­lan­gen die Lan­desvor­sitzen­den der Philolo­gen­ver­bände eine poli­tis­che Kehrtwende in ganz Deutsch­land, der fol­gende Grund­prinzip­i­en und Fest­stel­lun­gen zugrunde liegen müssen, wenn es den poli­tisch Ver­ant­wortlichen tat­säch­lich darum gehen sollte, das Niveau und die Qual­ität des Gym­na­si­ums dauer­haft zu sich­ern und zu stärken:

Das spez­i­fis­che Pro­fil und die Stel­lung des Gym­na­si­ums inner­halb des gegliederten Schul­sys­tems als eine Schu­lart für beson­ders leis­tungs­fähige und leis­tungswillige Schüler müssen in der Prax­is wieder stärk­er berück­sichtigt wer­den. Das Gym­na­si­um kann und will inner­halb eines gegliederten Schul­we­sens nicht “eine Schu­lart für alle” sein. Bestre­bun­gen in allen Bun­deslän­dern, den Abi­turi­en­tenan­teil, auch unter bewusster wie unbe­wusster Absenkung der Qual­itäts­stan­dards, immer weit­er zu erhöhen, laufen dem Wesen dieser Schu­lart qua Def­i­n­i­tionem ent­ge­gen und bedro­hen die Exis­tenz des Gym­na­si­ums wie des gegliederten Schul­we­sens als Ganzes. Das Ziel des Gym­na­si­ums muss wieder stärk­er ins all­ge­meine Bewusst­sein zurück­ge­bracht wer­den, eine Schu­lart für den beson­ders leis­tungs­fähi­gen und ‑willi­gen Teil der Schüler­schaft zu sein, der danach strebt, sich in einem inhaltlich und method­isch eben­so anspruchsvollen wie anre­gen­den schulis­chen Umfeld die all­ge­meine Hochschul­reife zu erar­beit­en. Eine klare Leis­tung­sori­en­tierung mit klaren Bew­er­tungs- und Vor­rück­ungskri­te­rien sind selb­stver­ständliche Bestandteile des gym­nasialen Unter­richts, zu dessen gle­ich­berechtigten Zie­len Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung und Wertev­er­mit­tlung gehören.

Die anspruchsvollen Ziele des Gym­na­si­ums lassen sich auch in Zukun­ft nur mit guten Arbeits­be­din­gun­gen für Schüler wie Lehrkräfte erre­ichen. Eine gute, nicht nur ein absolutes Min­i­mum bietende Stun­de­nausstat­tung und ein eben­solch­es Zeit­bud­get sind zur Erfül­lung des gym­nasialen Bil­dungsauf­trages genau­so erforder­lich wie die dauer­hafte Gewährleis­tung der erforder­lichen räum­lichen, per­son­ellen und organ­isatorischen Rah­menbe­din­gun­gen. Ein anspruchsvolles Gym­na­si­um ist als “Low-Bud­get-Schule” daher nicht möglich; die deutsch­landweit geführte Diskus­sion um die Fol­gen der Beschlüsse zur Schulzeitverkürzung machen deut­lich, dass diese auch tief in die gym­nasiale Organ­i­sa­tion­sstruk­tur ein­greifend­en Entschei­dun­gen nicht ohne eine nach­haltige Erhöhung der Investi­tio­nen adäquat zu ver­wirk­lichen sind!

Aus der im Gefolge von PISA durchge­führten COAC­TIV-Studie muss geschlossen wer­den, dass die Gym­nasiallehrerschaft infolge ihrer in dieser Unter­suchung bestätigten fach­lich wie method­isch her­vor­ra­gen­den Qual­i­fika­tion einen großen Anteil am nation­al wie inter­na­tion­al her­vor­ra­gen­den Abschnei­den ihrer Schü­lerin­nen und Schüler bei den PISA-Unter­suchun­gen hat­te. Dieses hohe Qual­i­fika­tion­sniveau darf durch niveausenk­ende Änderun­gen in Lehramtsstudi­um und im Ref­er­en­dari­at nicht gefährdet wer­den. Ander­er­seits muss es seit­ens des Dien­s­ther­rn seine Ankerken­nung in einem angemesse­nen Lohn­niveau und in guten Arbeits­be­din­gun­gen find­en. Die in den let­zten Jahren allen­thal­ben vorgenomme­nen Lohnkürzun­gen und Arbeit­szeit­er­höhun­gen haben dem nicht Rech­nung getra­gen; sie stellen nicht nur ein demo­tivieren­des Zeichen der Mis­sach­tung der Leis­tun­gen der Lehrerschaft dar, die Arbeits­be­las­tung für Lehrkräfte, die ihren Beruf ernst nehmen, hat inzwis­chen vielfach jedes vernün­ftige Maß über­schrit­ten. Die Philolo­gen­ver­bände der fünf Südlän­der erwarten, dass die den Bun­deslän­dern im Gefolge der Föder­al­is­mus­re­form zugewach­se­nen Kom­pe­ten­zen vom Dien­s­ther­rn zu ein­er spür­baren Verbesserung der in den ver­gan­genen Jahren rapi­de ver­schlechterten Arbeits- und Rah­menbe­din­gun­gen genutzt wer­den.

Forsch­er: Schlechte PISA-Leis­tun­gen kosten Regierun­gen bis zu 3 Prozent beim Wäh­ler

Abschließend weisen die fünf Lan­desvor­sitzen­den der Philolo­gen­ver­bände darauf hin, dass in ein­er Rückbesin­nung auf eine wieder klarere Leis­tungs- und Qual­ität­sori­en­tierung am Gym­na­si­um wie an anderen Schu­larten, die über Lip­pen­beken­nt­nisse und Son­ntagsre­den hin­aus­ge­ht, nicht nur die Schüler prof­i­tieren. Auch für die Regierun­gen selb­st zahlt sich eine deut­lich das Wis­sen und Kön­nen beto­nende Ori­en­tierung der Schulpoli­tik ganz konkret in der Wäh­lerzus­tim­mung aus, wie nun von einem Forscherteam der TU München um Prof. Dr. Robert von Weizsäck­er bestätigt wurde. In ein­er zum Jahre­san­fang veröf­fentlicht­en Studie schreiben die Wis­senschaftler: “So sank infolge des unter­durch­schnit­tlichen Abschnei­dens deutsch­er Schüler im inter­na­tionalen PISA-Ver­gle­ich die Zus­tim­mung zur damals amtieren­den rot-grü­nen Bun­desregierung um jew­eils 2,5 bis 3 Prozent­punk­te. Gle­ichzeit­ig sank in Bun­deslän­dern mit nation­al unter­durch­schnit­tlichem PISA-Ergeb­nis auch der Anteil der Wäh­ler, die die jew­eilige Lan­desregierung unter­stützten, während er in Bun­deslän­dern, die über­durch­schnit­tlich gut abschnit­ten, (…) stieg.”

www.phv-bw.de

Down­loads:
Pressemit­teilung als Word-Doku­ment
Bild des PhV BW-Vor­sitzen­den Karl-Heinz Wurster

 

 

 

 

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