Durch sechsjährige Grundschule werden Gymnasiasten benachteiligt

17. April 2008

17.04.2008 / 1811 – 19-08

Berliner ELEMENT-Studie von Prof. Dr. Rainer Lehmann bestätigt die ablehnende Position des Philologenverbandes Baden-Württemberg:

Durch sechsjährige Grundschule werden Gymnasiasten benachteiligt

  • Soziale Disparitäten werden durch längeres Lernen nicht abgebaut
  • Lernentwicklung a l l e r Kinder wird gebremst

„Nach der nun bekannt gewordenen ‚ELEMENT-Studie‘ von Prof. Dr. Rainer Lehmann kann wohl niemand mehr reinen Gewissens behaupten, eine Verlängerung der Grundschulzeit für alle Schüler sei von Vorteil und sorge für mehr Chancengerechtigkeit“, so der Landesvorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg (PhV BW), Karl-Heinz Wurster. Fakt ist: Die Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre schadet allen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Dies hat die von Prof. Dr. Rainer Lehmann im Auftrag des ehemaligen Berliner Bildungssenators Böger (SPD) durchgeführte ‚ELEMENT-Studie‘ nach dem Vergleich von fast 5000 Grundschülern und Gymnasiasten aus vier- und aus sechsjährigen Grundschulen ergeben.

In einem heute erschienenen Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT nennt Bildungsforscher Prof. Dr. Lehmann folgendes Ergebnis dieser vor fünf Jahren begonnenen Untersuchung: „Bei gleicher Ausgangslage lernen Schüler an Gymnasien weitaus mehr als an Grundschulen. (…) Selbst wenn man sich Schüler mit vergleichbarem Elternhaus, Bildungs- und Migrationshintergrund anschaut, gilt: Die Gymnasiasten haben sich am Ende der sechsten Klasse so stark abgesetzt, dass sie zwei Jahre Lernvorsprung haben. (…) Der Lernfortschritt an Gymnasien ist übrigens nicht nur im oberen Drittel höher, sondern in allen Leistungsgruppen. Vom offenbar anspruchsvolleren Lernklima dort profitieren selbst die (…) Lernschwächeren.“ Schon in einer früheren, von Prof. Dr. Roeder durchgeführten Untersuchung mit Gymnasiasten, von denen der eine Teil eine vierjährige und der andere eine sechsjährige Grundschule besucht hatte, wurde eindeutig festgestellt: „Unübersehbar zeigen sich deutliche Leistungsvorteile der Gymnasiasten aus den Bundesländern mit vierjähriger Grundschule.“

Die weitaus schlechteren Ergebnisse in der sechsjährigen Grundschule seien, so Prof. Dr. Lehmann, auch eine Folge davon, dass Gymnasiallehrer über eine bessere fachdidaktische Ausbildung für die Klassen fünf und sechs verfügten. Dieser Befund bestätigt übrigens Ergebnisse der vom ersten deutschen PISA-Koordinator und ehemaligen Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Prof. Dr. Jürgen Baumert, geleiteten COACTIV-Studie.

Längere gemeinsame Schulzeit führt nicht zum Abbau sozialer Disparitäten

Mit ihren desillusionierenden Ergebnissen über die vielfach behauptete Möglichkeit, mit einer längeren Grundschulzeit oder mit Gesamtschulen ließen sich soziale Disparitäten abbauen, bestätigt die ‚Element-Studie‘ bereits vorliegende Forschungsergebnisse und die vom Philologenverband vertretene Auffassung: „Wenn die Schüler länger zusammen lernen, führt das keineswegs notwendigerweise dazu, dass soziale Disparitäten abgebaut werden“, sagte Prof. Lehmann. Das Gegenteil ist der Fall: Die Studie bringt den Nachweis, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg eher verstärkt wird. Für die sechsjährige Grundschule stellte sich heraus: „Im Untersuchungszeitraum ist der statistische Zusammenhang zwischen Leistung und Herkunft gestiegen.“ Eine ähnlich ernüchternde Bilanz über die Möglichkeiten einer längeren gemeinsamen Schulzeit hatte vor wenigen Monaten der Bildungsforscher Prof. Dr. Helmut Fend gezogen. Als Resultat seiner Langzeitstudie mit über 1500 Teilnehmern sagt er: „Die Gesamtschule schafft unterm Strich nicht mehr Bildungsgerechtigkeit als die Schulen des gegliederten Schulsystems – entgegen ihrem Anspruch und entgegen den Hoffnungen vieler Schulreformer“. Zum selben Ergebnis kommt auch das Berliner Max-Planck-Institut in einem Bericht über das deutsche Bildungssystem. Weitere Untersuchungen zum englischen Schulsystem zeigen ebenfalls, dass sich im dortigen integrierten Gesamtschulsystem die sozialen Disparitäten zwischen den Bevölkerungsschichten noch verstärkt haben.

Gesamtschule vermehrt die Probleme

„Die Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen einer längeren gemeinsamen Schulzeit sind niederschmetternd und müssen Konsequenzen für die Bildungspolitiker in Deutschland haben“, so PhV-Chef Wurster. Nach diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen könne sich kein Gegner des gegliederten Schulwesens und Verfechter einer längeren Grundschulzeit oder eines Gesamtschulsystems mehr darauf berufen, hierbei das Wohl der Kinder und mehr Bildungsgerechtigkeit im Blick zu haben.

Nach Auffassung des Philologenverbandes sollten die für eine längere Grundschulzeit nachgewiesenen gravierenden Lern- und damit Wettbewerbsnachteile für junge Menschen und das Versagen der Gesamtschulen beim Ausgleich sozialer Disparitäten und bei der sozialen Integration nun endlich dorthin zurück gebracht werden, wo sie hingehören: in die bildungspolitische Mottenküste. „Wir plädieren für einen qualitätsorientierten Ausbau des differenzierten mehrgliedrigen Schulsystems und für eine begabungs- und leistungsgerechte Förderung aller Kinder ohne Unterschied auf ihre soziale Herkunft“, so Wurster mit dem abschließenden Hinweis: „Es muss endlich Schluss sein mit unnötigen Schulstrukturdebatten; viel wichtiger sind gute schulische Rahmenbedingungen, eine professionelle Lehrerausbildung und eine konsequente Früh- und Sprachförderung der Schüler, beginnend im Vorschulbereich.“

www.phv-bw.de

Downloads:
Pressemitteilung als Word-Dokument
Bild des PhV BW-Vorsitzenden Karl-Heinz Wurster

 

 

 

 

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