Philologenverband BW begrüßt die überraschende Kehrtwende von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Bildungspolitik
3. August 2012
03.08.2012 / 1811 — 20–12
Philologenverband BW begrüßt die überraschende Kehrtwende von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Bildungspolitik:
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Das Ja des Ministerpräsidenten zur Zweigliedrigkeit im baden-württembergischen Schulsystem
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und damit verbunden die Absage an die Gemeinschaftsschule für alle!
Der Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) zeigt sich positiv überrascht von den schulpolitischen Äußerungen des Ministerpräsidenten in einem Sommer-Interview der Stuttgarter Nachrichten am 2. August 2012, kurz vor Antritt seines Sommerurlaubs. In der festen Annahme, dass es sich dabei um zuverlässige Aussagen handelt, die nicht nur zur Beruhigung der Öffentlichkeit dienen sollen, in der ja immer stärker der Vorwurf laut wird, die Regierung verzettele sich in der Schulpolitik, nimmt der Philologenverband zur Kenntnis, dass sich der Ministerpräsident für ein zweigliedriges Schulsystem ausspricht, dessen eine Säule das Gymnasium und dessen zweite Säule die Gemeinschaftsschule ist.
Der Ministerpräsident und gelernte Gymnasiallehrer erteilt damit der ja bislang propagierten und konkret verfolgten Konzeption einer Einheitsschule für alle, in der letztlich alle Schultypen aufgehen sollen (Eingliedrigkeit), eine klare Absage und bekennt sich eindeutig zu einem gegliederten Schulsystem (Zweigliedrigkeit).
Man sei, so verlautete kürzlich aus den Reihen der Koalitionäre, in der Realität angekommen. “Wir stellen erfreut fest, dass dies auch für den Regierungschef zu gelten scheint, der seinem Realitätssinn und gesunden Menschenverstand deutlich größere Bedeutung beimisst als den ideologiebasierten und traumtänzerischen Innovationsvisionen seiner Partei und seiner Gewerkschaft”, so der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg, Bernd Saur, zu Kretschmanns überraschenden Äußerungen.
Konstitutiv für ein zweigliedriges Schulsystem in Baden-Württemberg müssen nach Ansicht des PhV BW mehrere unverzichtbare Elemente sein:
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Klare Zugangsvoraussetzungen fürs Gymnasium (wie z.B. in Sachsen), denn Überforderung führt zu unnötigen und unverantwortlichen Frustrationen und psychischen Belastungen,
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Anerkennung und Stärkung unseres leistungsstarken beruflichen Schulwesens,
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Die Säule “Gemeinschaftsschule” kann mit dem Hauptschulabschluss oder dem mittleren Bildungsabschluss (Mittlere Reife) abgeschlossen werden,
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Gewährleistung horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit (“Kein Abschluss ohne Anschluss”),
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Verzicht auf den gymnasialen Bildungsgang an der Gemeinschaftsschule
Die derzeit noch vom Kultusministerium verfolgte Konzeption einer Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg sieht vor, dass alle Schülerinnen und Schüler bis zur zehnten Klasse von sogenannten Lernbegleitern zu eigenverantwortlichem Selbststudium angeleitet werden (individuelle Förderung), und dass eine Zusammenstellung von Lerngruppen nach Leistungsvermögen nicht erlaubt ist (Zwangsheterogenisierung). Außer den grün-roten Bildungspolitikern glaubt niemand im Lande, dass dies den Lernerfolg unserer Schülerinnen und Schüler steigern würde!
Obwohl in allen der in den kommenden drei Schuljahren an den Start gehenden Gemeinschafsschulen der Bildungsplan der Realschule gilt, wird der Bevölkerung gesagt, es existierten an der Gemeinschaftsschule alle drei Bildungsstandards, also auch der des Gymnasiums, und man könne mit derlei Voraussetzungen nach Klasse 10 eine gymnasiale Oberstufe bewältigen. Die Eltern mögen selbst entscheiden, für wie realistisch sie eine solche Behauptung halten!
Das Projekt einer Veränderung der Lehrerausbildung hin zum Einheitslehrer für die Sekundarstufe I (genannt Stufenlehrer) sollte bislang ein weiterer Baustein sein für die avisierte Zwangsegalisierung unseres Schulsystems.
Angesichts seiner Aussagen zur Zweigliedrigkeit, die eine Bestandsgarantie für das grundständige Gymnasium (ab Klasse 5) implizieren, wird der Ministerpräsident vor seiner Abreise in den Urlaub sicherlich die entsprechenden Anweisungen gegeben haben, sämtliche Vorarbeiten, die darauf abzielen, das Gymnasium und seine Lehrkräfte im Sinne einer Zwangsnivellierung der Schularten gezielt zu erodieren und damit durch die Hintertür abzuschaffen, unverzüglich zu stoppen. Vielmehr müssen jetzt unverzüglich klare Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der beiden Säulen, vor allem der neu zu definierenden Gemeinschaftsschule gemacht werden.
“Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Regierungschef unbeschwert in den Urlaub fahren kann in dem Bewusstsein, einen Widerspruch zurück gelassen zu haben”, so Bernd Saur abschließend.
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Bild des PhV BW-Vorsitzenden Bernd Saur