Pressemitteilung des Philologenverbands Baden-Württemberg zur angekündigten Klage von Schülervertretern gegen die Abiturprüfungen
29. April 2020
• Verband der Gymnasiallehrkräfte widerspricht klagewilligen Schülervertretern: „Durchschnittsabitur ist Mist“
• PhV-Vorsitzender Ralf Scholl: „Qualität des Abiturs wäre ohne Abschlussprüfung in Frage gestellt“
Der Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) spricht sich gegen eine Absage der Abiturprüfungen im Schuljahr 2019/2020 aus. „Das Kultusministerium hat der aktuellen Corona-Pandemie mit der Verschiebung der Abschlussprüfungen Rechnung getragen. Sollte sich der Rückgang der Neuinfektionen in den kommenden Wochen trotz Maßnahmenlockerung fortsetzen, halten wir es für absolut vertretbar, die Abiturprüfungen im Land wie geplant ab dem 18. Mai 2020 durchzuführen“, so der PhV-Landesvorsitzende Ralf Scholl. Er zeigt sich überzeugt davon, dass durch Kultusministerium, Schulen und Schulträger die notwendigen Maßnahmen ergriffen wurden und werden, um eine Durchführung der Prüfungen zu ermöglichen, ohne die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte zu gefährden.
Forderungen von Schülervertretern, die Abschlussprüfungen in diesem Jahr abzusagen, tritt der Verband der Gymnasiallehrkräfte entschieden entgegen. Laut Presseberichten drohen Schülervertreter aus zahlreichen baden-württembergischen Städten mit Klagen gegen das Land, falls die bevorstehenden Prüfungen nicht ausfallen sollten. „Eine Absage der Abiturprüfungen würde den Schülerinnen und Schülern einen Bärendienst erweisen“, erklärt Ralf Scholl. „Die Qualität des Abiturs muss außer Zweifel stehen – gerade auch im Interesse der Schüler. Ohne Abschlussprüfungen wäre das diesjährige Abitur aber mit einem großen Makel behaftet – mit möglichen Konsequenzen für diesjährige Abiturientinnen und Abiturienten, die sich im Ausland um einen Studienplatz bewerben.“
Die Abiturienten dieses Jahres stünden zudem in Konkurrenz mit Bewerberinnen und Bewerbern anderer, „normaler“ Abiturjahrgänge und auch mit den Abiturienten aus Hessen und Rheinland-Pfalz, die ihre Abi-Prüfungen bereits ganz regulär abgelegt haben.
Begrüßt wird vom Philologenverband die Zusage der Kultusministerin, dass Schülerinnen und Schüler ohne Angabe von Gründen auf den ersten Nachtermin ausweichen können, wenn sie sich noch nicht in der Lage sehen, die Abschlussprüfungen am Haupttermin zu schreiben. „Damit wird gerade auch den berechtigten Anliegen der Schülerinnen und Schüler, die selbst zur Risikogruppe gehören oder in deren Familie es Mitglieder der Risikogruppen gibt, Rechnung getragen“, betont der PhV-Landesvorsitzende. „Auch dadurch, dass es mehrere Nachtermine geben wird.“
Die Jungen Philologen unterstützen diese Auffassung. „Solange die Hygiene-Maßnahmen eingehalten werden, steht dem Abitur nichts im Weg”, so Martina Scherer, Landesvorsitzende der Jungen Philologen, die Ralf Scholl inhaltlich den Rücken stärkt. „Eine sehr große Anzahl von Schülerinnen und Schülern hat sich bereits intensiv auf die Abiturprüfungen vorbereitet; diese sollten nun nicht ausgebremst und mit einem Durchschnittsabitur abgespeist werden.“
Rechnerisch falsch ist nach Ansicht von Ralf Scholl die Aussage, dass durch den bisherigen Unterricht bereits ⅔ der Abiturqualifikation erreicht seien. „Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Unterricht bis zum Abitur tatsächlich komplett stattgefunden hätte. Da regulärer Unterricht aber praktisch nur in drei von vier Schulhalbjahren stattfand, hat jeder Abiturient bisher auch nur ¾ von den genannten ⅔ der Gesamtqualifikation – also lediglich die halbe Gesamtqualifikation – erreicht.“ Dies lasse den Wunsch von Schülervertretern nach einem „Durchschnittsabitur“ für lediglich die halbe Leistung als doch recht anmaßend erscheinen.
Eindeutig stellen sich für den Verband der Gymnasiallehrkräfte die Korrekturanweisungen des Kultusministeriums für das Abitur dar: In der Erst- und Zweitkorrektur sind Themen, die durch die coronabedingten Schulschließungen ab 17.03.2020 nicht mehr im Unterricht behandelt werden konnten, nicht zu werten. Die Zweitkorrektur wird an der eigenen Schule stattfinden, sodass der Erstkorrektor dies dem Zweitkorrektor problemlos mitteilen kann. „Die Kultusministerin hat erklärt, dass keine Schülerin und kein Schüler einen Nachteil aus der aktuellen Situation haben soll. Wenn Schülervertreter trotz der genannten Änderungen diese Zusicherung als ´Farce´ bezeichnen, halte ich das nicht unbedingt für ein Zeichen von Realismus und Reife“, so Ralf Scholl. „Das Abitur in Deutschland trägt aus gutem Grund auch die Bezeichnung ´Reifeprüfung´.“ Mit dem Ende der Schulzeit beginne das unbeschützte Leben als Erwachsene. Dann zähle nur noch die Antwort auf eine einzige Frage: „Was können Sie?“, die mit den Abiturprüfungen eine erste Antwort findet.
„Rückblickend können die Abiturientinnen und Abiturienten froh sein, wenn sie das an der Schule erworbene Wissen in einer ganz normalen Abiturprüfung unter Beweis gestellt haben. Dann können sie auf ihr Abitur stolz sein und müssen nicht ihr Leben lang das Stigma eines ´Corona-Durchschnittsabiturs‘ tragen“, so der PhV-Vorsitzende abschließend.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden rund 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der ca. 30.000 Lehrkräfte an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat am Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten an den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der ca. 26.000 Lehrkräfte an den öffentlichen Gymnasien des Landes ein.