Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) zur Vorstellung einer G8-Studie durch das Kultusministerium Baden-Württemberg
21. April 2015
* G8-Studie liefert keine wirklich umfassende bildungstheoretische Begründung gegen eine Ausweitung der G9-Züge
* Kultusminister Stoch setzt sich über den Koalitionsvertrag und den breiten Elternwillen komplett hinweg. “Politik des Gehörtwerdens” entpuppt sich einmal mehr als populistische Farce
Wer von der lange unter der Decke gehaltenen G8-Studie, die eigentlich schon Ende 2013 abgeschlossen sein sollte, profunde Erkenntnisse erwartet hatte, wurde bei der gestrigen Vorstellung durch Kultusminister Andreas Stoch enttäuscht. Die Studie lässt überdies die eigentliche Kernfrage nach einer grundsätzlichen Sinnhaftigkeit 9jähriger gymnasialer Züge völlig außer Acht.
Minister Stoch erklärt, eine der wenigen bemerkenswerten Aussagen ernst zu nehmen, wonach von Schülern in der Kursstufe von G8 eine größere Beanspruchung und ein weniger gutes gesundheitliches Wohlbefinden empfunden wird als im G9, und geht davon aus, dass dies mit dem Fehlen der 11. Klasse zu tun hat, dass besagte Feststellungen also eine klare Konsequenz der Schulzeitverkürzung sind.
Die eigentliche Belastung im G8 liegt bekanntlich in der Mittelstufe. Hierüber und über Möglichkeiten der Abhilfe werden in der vorgelegten Studie keine Aussagen gemacht. Die für die Oberstufe ermittelten Befunde sind aber hierauf und das heißt letztlich auf die Streichung eines ganzen Schuljahres zurückzuführen.
Prof. Dr. Ulrich Trautweins Schlussfolgerung “aufgrund dieser Ergebnisse, der bildungspolitischen Ausrichtung und den angestrebten Verbesserungen bei der Unterrichtsqualität sollte eine neuerliche Debatte um G8/G9 vermieden werden” erscheint vor diesem Hintergrund reichlich rätselhaft. Dass die “bildungspolitische Ausrichtung” in eine wissenschaftliche Studie einfließt, ist ebenso bemerkenswert wie der Verweis auf angestrebte “Verbesserungen bei der Unterrichtsqualität”, scheint doch die jetzige gymnasiale Unterrichtsqualität so gut zu sein, dass der Übergang von G9 auf G8 angeblich problemlos erfolgen konnte.
Minister Stochs Positionierung in der G8/G9-Frage ist allein seinen schulstruktur- politischen Ambitionen geschuldet. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Schmiedel wurde zum Schweigen verdonnert. Mit der eigentlichen Kernfrage, ob nicht ein “G9-Mehrwertgymnasium” parallel zum nunmehr etablierten G8 für viele angehende Akademiker einen großen Nutzen bringen könnte, beschäftigt er sich gar nicht.
Die Frage muss aber erlaubt sein, ob die Vorbereitung unserer Kinder auf eine immer komplexer werdende Welt ausgerechnet in der Verkürzung der Ausbildungszeiten liegen sollte: Einschulung mit 5 ½, Abitur mit 17 und Magister mit 22. Und als Folge dann “Bletting Studies” (“Nachreifungskurse” für Jungakademiker) an der Universität.
Die Frage muss erlaubt sein, ob mit Schnelldurchgängen Reife, Solidität, Nachhaltigkeit und Durchdringung von Wissen, wirkliches Verstehen und eine vertiefte Allgemeinbildung erreicht werden können.
Die angekündigten und inzwischen publik gewordenen Pläne zur “Optimierung” von G8 dienen der “Einfädelung” von Schülerinnen und Schülern der Gemeinschaftsschule und der Realschule in die gymnasiale Oberstufe von G8. Sie zielen nicht darauf ab, gymnasialen Mehrwert-Ansprüchen zu genügen.
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An den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg werden über 300.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Der Philologenverband Baden-Württemberg e.V. (PhV BW) vertritt über 8.400 im Verband organisierte Lehrerinnen und Lehrer an den 446 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes.
Im gymnasialen Bereich hat der Philologenverband BW sowohl im Hauptpersonalrat beim Kultusministerium als auch in allen vier Bezirkspersonalräten bei den Regierungspräsidien die Mehrheit und setzt sich dort für die Interessen der rund 27.000 Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes ein.
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Bild des PhV BW-Vorsitzenden Bernd Saur