Gegliedertes Schulwesen nicht abschaffen, sondern Rahmenbedingungen in allen Schularten verbessern
16. Februar 2005
16.2.2005 / 1811 — 03–05
Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW):
Gegliedertes Schulwesen nicht abschaffen, sondern Rahmenbedingungen in allen Schularten verbessern
• Philologenverband lehnt Forderungen nach sechsjähriger Grundschule ab
• Differenzierung muss nach vier Grundschuljahren einsetzen
• Durchlässigkeit zwischen den Schularten muss gewährleistet sein
Die Auffassung der SPD im baden-württembergischen Landtag, Schüler würden durch ein längeres gemeinsames Lernen und die Einführung einer sechsjährigen Grundschule besser, wird vom Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW), dem Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien, nicht geteilt. „Selbstverständlich darf auf dem Weg einer qualitativen Verbesserung schulischer Ergebnisse auch über Schulstrukturen diskutiert werden, doch sei diese Debatte nicht unter dem zentralen Aspekt zu führen, das Bildungswesen komplett umzukrempeln und das dreigliedrige Schulsystem grundlos in Frage zu stellen“, so der PhV-Landesvorsitzende Karl-Heinz Wurster zu den jüngsten SPD-Vorschlägen, die vom Philologenverband abgelehnt werden.
„Wir sind für die Erhaltung und Weiterentwicklung des gegliederten Schulwesens, sind aber fest davon überzeugt, dass nach der vierjährigen Grundschulzeit eine Differenzierung einsetzen muss“, gibt Wurster zu verstehen und schlägt vor, durch ein professionelleres Verfahren den Schulübergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen zu verbessern. Aus der Sicht des Philologenverbandes käme ein nur noch sechsjähriges Gymnasium ebenso wie die Umsetzung von Ideen einer neunjährigen Einheitsschule einer Zerschlagung dieser Schulart gleich. „Hierfür“, so Wurster, „besteht überhaupt kein Anlass.“ Das Abschneiden der deutschen Gymnasien bei PISA 2003 liefere den Beweis: Durchgängig haben sich die Gymnasiasten in allen drei Testbereichen verbessert. Nach Auffassung des Philologenverbands hätte der Qualitätsvorsprung allerdings noch besser ausfallen können, wenn die Bundesländer nicht durch Einsparungen im Bildungsbereich in den letzten Jahren größere Klassenstärken und höhere Lehrerarbeitszeiten in Kauf genommen hätten.
Wichtiger als riskante Manipulationen an gewachsenen Schulstrukturen sei es, geeignete Lösungen zu finden, Schüler so zu fördern, dass sie in internationalen Vergleichsstudien Spitzenpositionen einnehmen. Dazu gehören gute schulische Rahmenbedingungen, kleine Klassen, stärkere Investitionen in die Lehrerbildung, qualifizierte Unterstützungs- und frühkindliche Fördermaßnahmen bereits im Kindergartenalter, aber auch Aufklärung der Elternhäuser, wie diese durch geeignete Erziehungsmaßnahmen zum schulischen Erfolg ihrer Kinder beitragen können. Das gelte ganz besonders für den Erwerb sprachlicher Kompetenzen.
Statt eine Verschmelzung von Haupt- und Realschule anzusteuern, seien weitere Maßnahmen zur Aufwertung der Hauptschule wünschenswert. Wenn laut KMK-Studie heute nur noch 22 Prozent die Hauptschule besuchten, dann müsse über eine Stärkung dieser Schulart nachgedacht werden. Im Übrigen müsse der Wechsel von einer Schulart zur anderen bei Eignung durchgängig gewährleistet sein, „damit jedes Kind einen seiner Begabung entsprechenden qualifizierten Schulabschluss erreicht“, so Wurster.
Zum Thema „Ganztagsschule“ äußerte Wurster, dass eine echte Ganztagsschule bald nicht nur Baukosten, sondern auch Lehrerstunden kosten werde. So benötige beispielsweise ein Ganztagsgymnasium mit 20 Klassen vier zusätzliche Lehrer-Deputate. Die gut meinenden Forderungen nach Ganztagsschulen müssten auch unter dem Kostenaspekt gründlich durchdacht werden, denn lediglich eine allgemein pädagogische Betreuung ohne professionell organisierte schulische Bildungsangebote reiche nicht aus.