Tendenz in Richtung Teilzeitjob: Über die Hälfte der befragten Lehrkräfte an Gymnasien arbeitet in Teilzeit
1. Juni 2005
1.6.2005 / 1811 — 13–05
Über 2000 Lehrer an Baden-Württembergs Gymnasien beteiligen sich an Umfrage des Philologenverbands zum Beschäftigungsumfang
Tendenz in Richtung Teilzeitjob: Über die Hälfte der befragten Lehrkräfte an Gymnasien arbeitet in Teilzeit
58 Prozent der Befragten Teilzeitlehrkräfte geben als Grund für ihre Entscheidung zur Teilzeit Überlastung an
Eine im Mai vom Philologenverband Baden-Württemberg unter den über 22.000 Gymnasiallehrern des Landes durchgeführte Umfrage zum Beschäftigungsumfang erbrachte bis zum 01. Juni 2005 über 2.000 (genau 2.046) Rückmeldungen. „Diese Umfrage, an der sich rund zehn Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen beteiligten, liefert durchaus bemerkenswerte und statistisch relevante Zahlen und Aussagen über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an den Gymnasien des Landes“, resümiert der Landesvorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg, Karl-Heinz Wurster, und weist zugleich darauf hin, dass der Lehrerberuf an dieser Schulart nicht nur aus privaten oder familiären Gründen, sondern auch vor allem aufgrund beruflicher Überlastung immer mehr zum Teilzeitjob zu werden droht. Bei der Umfrage an den Gymnasien kam heraus, 58 Prozent der befragten Teilzeitlehrkräfte ist bei Vollbeschäftigung beruflich so stark überlastet, dass diese trotz damit verbundener Gehalts- und späterer Pensionseinbußen das Deputat reduzieren müssen. Mit 51,8 Prozent beträgt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter den Befragten mehr als die Hälfte der Beschäftigten.
Die Umfrage ergab also, dass eine Mehrheit der gymnasialen Lehrkräfte bereits in Teilzeit arbeitet, weil ein volles Deputat von 25 Unterrichtsstunden, was einer Wochenarbeitszeit von bis zu 50 Stunden und mehr entspricht, eine „nicht mehr tragbare Belastung“ darstellt. Der Philologenverband Baden Württemberg lehnt deshalb das vom Kultusministerium verordnete „Bandbreitenmodell“ kategorisch ab. PhV-Chef Wurster appelliert an die Schulleitungen, das Klima an den Schulen nicht durch die Umsetzung des Bandbreitenmodells „zu vergiften“ (Hinweis: Bei diesem Modell können Schulleiter ab dem kommenden Schuljahr das Deputat einer Lehrkraft um bis zu zwei Stunden anheben). „Wenn die Politik künftig nicht deutlich mehr für die Lehrergesundheit tut und für vernünftige Arbeitszeitregelungen und Arbeitsbedingungen an den Schulen des Landes sorgt, ist damit zu rechnen, dass berufsbedingte Erkrankungen zunehmen, qualifizierter Lehrernachwuchs nicht mehr zu gewinnen sein wird und der Vollzeitlehrer ausstirbt. Der Lehrerberuf muss grundsätzlich auch als Vollzeitberuf leistbar sein“, so Wurster.
„Für den Philologenverband ist nicht akzeptierbar, dass ein Beruf aufgrund seiner hohen und ständig wachsenden Anforderungen praktisch nicht mehr als Vollzeitberuf ausgeübt werden kann und damit zwangsläufig eine Absenkung des Gehalts hingenommen werden muss“, kritisiert Wurster und weist in diesem Zusammenhang auf die mehrfache Arbeitszeiterhöhung innerhalb nur weniger Jahre bei gleichzeitigen Gehaltskürzungen hin. Durch den laufenden Reformprozess an den Schulen sei die Arbeitsbelastung überdimensional gestiegen, und zwar u.a. durch Einarbeitung in neue Bildungsstandards mit neuen Unterrichts- und Prüfungsformen, Betreuung von Praktikanten, Schulentwicklungsmaßnahmen, Erstellung von Schulcurricula, Reform der gymnasialen Oberstufe und größere Klassen.
Eine Konsequenz dieser Entwicklung sei für viele Kollegen, ihr Deputat zu reduzieren. Laut PhV-Umfrage geben rund 52,9 Prozent der Teilzeitbeschäftigten an, dass sie ihr Deputat um einige Stunden senken mussten, um die Qualität des Unterrichts zu erhalten. Rund 12 Prozent der befragten Teilzeit-Lehrkräfte arbeiten im laufenden Schuljahr 2004/05 nur mit einem halben Deputat (also zwischen 12 und 13 Wochenstunden). Im Durchschnitt unterrichtet die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten 17,1 Stunden pro Woche. Der ermittelte Durchschnitt liegt bei allen an der Umfrage beteiligten Vollzeit- und Teilzeit-Lehrkräften bei 20,9 Unterrichtsstunden und somit immer noch vier Stunden unter dem vollen Stundendeputat pro Woche. (Anmerkung: Schon im Schuljahr 2003/04 waren von insgesamt 22.487 Lehrkräften an den Gymnasien 8.999 – also knapp 40,2 Prozent — teilzeitbeschäftigt.)
Die vom Philologenverband unter den über 2.000 an der Umfrage beteiligten Lehrkräften ermittelte Zahl von 51,8 Prozent Teilzeitbeschäftigten lässt eine leicht steigende Tendenz teilzeitbeschäftigter Lehrer erkennen. Weniger als die Hälfte der Befragten (48,2 Prozent) unterrichtet im laufenden Schuljahr ein volles Deputat.
Die vom Philologenverband durchgeführte Umfrage erbrachte noch weitere Ergebnisse: So nannten 73 Prozent der befragten Vollbeschäftigten in erster Linie finanzielle Gründe für ein Vollzeit-Deputat. Geäußert wurde zum Beispiel auch:
• „Vollbeschäftigung müsste normal sein, aber dabei ist zum Beispiel fachliche Fort- und Weiterbildung unmöglich“;
• „Ich reduziere nicht, obwohl ich mich überlastet fühle und die Qualität des Unterrichts nachlässt“;
• „Als Einsteiger merke ich deutlich meine Grenzen“;
• „Teilzeit ist kein fairer Ausgleich zwischen Arbeitszeit und Bezahlung“.
57,3 Prozent der befragten Teilzeitbeschäftigten gibt private bzw. familiäre Gründe für die Stundenreduktion an. Einige meinen, dass sie aufgrund ihrer finanziellen Situation auf ein volles Gehalt verzichten können. Begründet wurde die persönliche Entscheidung für Teilzeit u.a. auch so: „Da ich die Gehaltseinbußen verkraften kann, genügt mir diese Belastung: so macht Schule Spaß“. Geäußert wurde, dass man zwar auf Teilzeit gegangen sei, aber finanzielle Einbußen schlecht verkrafte. Beklagt wird, dass der Berufseinstieg nur mit Teilzeit möglich sei und dann lediglich schrittweise aufgestockt werde und dass man das Deputat verringert habe, um die Gesundheit zu erhalten und die Qualität und Nerven zu bewahren. Kritisiert wurde, dass bei korrekturintensiven Fächerkombinationen wie Deutsch und Englisch ein volles Deputat kaum noch machbar sei.
Die Umfrage unter den Gymnasiallehrern ergab schließlich auch, dass 7,5 Prozent der befragten Teilzeitlehrkräfte ihr Deputat im Schuljahr 2005/06 überwiegend aus finanziellen Gründen aufstocken wollen, 8,1 Prozent der befragten Vollzeitkräfte des laufenden Schuljahrs hätten sich hingegen im kommenden Schuljahr für ein Teilzeit-Deputat entschieden. — „Diese Umfrage signalisiert, dass seitens der Politik dringender Handlungsbedarf besteht, die Arbeitsbelastung der gymnasialen Lehrkräfte zu senken“, so PhV-Chef Wurster abschließend.